Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
ein Nasenflügel war gepierct. Sie war zwanzig Jahre alt, eine erwachsene junge Frau mit einem eigenen Kopf, die selbstbewusst den Bahnsteig entlangging. Er folgte ihr die Rampe hinauf, die von der unterirdischen Bahnhofshalle auf die Straße führte. Draußen erwartete sie ein heller Wintertag. Er nahm nicht an, dass die Kälte ihr was ausmachen würde.
Später war sie zu Patience zum Essen gekommen. Rebus hatte Patience geraten, zur Sicherheit etwas Vegetarisches zu kochen.
»Für Teens und Twens koche ich grundsätzlich vegetarisch«, war ihr Kommentar gewesen.
»Das hätte ich mir denken können.«
Nach diesem Besuch hatte es weitere gegeben, und Sammy und Patience waren sich im selben Tempo näher gekommen, in dem sich Patience und Rebus voneinander entfernt hatten. Bis Rebus eines Tages den Studenten, die in seiner Wohnung hausten, den Marschbefehl gegeben hatte und bei Patience aus- und bei sich wieder eingezogen war.
Zwei Tage später hatte Sammy seine Schlüssel zu Patience’ Wohnung bekommen und ihre Sachen in deren Gästezimmer geschafft. Keine Dauerlösung, wie beide Frauen erklärten; nur etwas, das ihnen momentan richtig erschien.
Sammy wohnte immer noch da.
An diesem ersten Abend, dem Abend der gefüllten roten Paprikaschoten, hatten Rebus und Sammy über Gefängnis und Haftentlassene, Recht und Unrecht, Gesellschaft und Individuum diskutiert. Sammy hatte immer wieder vom »System« gesprochen; Rebus konterte, indem er von »Zuchthäuslern« sprach. Obwohl er wenigstens mit einigen ihrer - wohl überlegten und gut vorgetragenen - Argumente übereinstimmte, fand er sich, ohne es zu wollen, in der Rolle der Opposition wieder. Das passierte ihm ständig, nicht nur bei Sammy. Als er Patience über den Tisch hinweg einen Blick zuwarf, lächelte sie müde. Sie hatte ihm schon früher gesagt, er widerspreche nur, um eine Reaktion herauszufordern.
»Und weißt du, warum?«, hatte sie hinzugefügt. »Weil du mehr Spaß am Konflikt als am Konsens hast.«
»Das stimmt nicht«, hatte er ihr widersprochen. »Ich spiele lediglich den Advocatus Diaboli, das ist alles.«
Also hatte er ihr müdes Lächeln ignoriert und weiter seinen Streit mit seiner Tochter ausgefochten...
Er faltete die Zeitung zusammen und warf sie in den Papierkorb. Gill Templer betrat das Büro. Er hatte fast eine Viertelstunde lang auf sie gewartet. Sie entschuldigte sich nicht.
»Du hast vergessen, mir zu erzählen«, begann sie, »dass deine Tochter bei SWEEP arbeitet.«
»Das spielt keine Rolle.«
»Du hättest es mir sagen sollen.«
Er begriff, worum es ihr ging. »Du meinst, bevor du ein Interview gibst?«
»Irgend so’ne Reporterin, bis zum Schluss die Freundlichkeit in Person, dann: ›Und sagen Sie, wie stehen Sie dazu, dass eine nahe Angehörige eines Ihrer Inspectors für SWEEP arbeitet?‹«
Mairie Henderson, dachte Rebus. Der es wahrscheinlich auch gar nicht um die Antwort gegangen war, sondern lediglich darum, Gill Templer aus der Fassung zu bringen, sie möglicherweise zu einer unüberlegten Äußerung zu veranlassen.
»Was hast du ihr geantwortet?«
»Ich hab ›kein Kommentar‹ gesagt. Dann bin ich schnurstracks zu Chief Superintendent Watson und habe ihn gefragt, wen zum Teufel sie meinen konnte.« Sie hielt inne. »Das konntest nur du sein.«
»Das klingt wie ein Songtitel.«
Sie schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Das klingt wie eine Aufforderung, dich augenblicklich aus meinem Büro zu verpissen!«
Rebus verpisste sich.
Rebus’ Termin beim Direktor von Saughton war am späten Nachmittag.
Die Wache am Tor meldete ihn telefonisch an und ließ ihn dann passieren. Jenseits des Tors wurde er von einem weiteren Wärter in Empfang genommen und zum Büro des Direktors begleitet. Im Vorzimmer saß eine Sekretärin an ihrem Computer. Sie telefonierte gerade, bedeutete ihm aber mit einer Kopfbewegung, Platz zu nehmen.
»Also«, sagte sie in die Sprechmuschel, »angeblich braucht man da nur Control-Shift-Sternchen zu drücken, aber wenn ich’s mache, passiert nichts.« Sie hörte eine Weile schweigend zu und klemmte sich den Hörer zwischen Wange und Schulter, um mit beiden Händen tippen zu können. »Nein, das funktioniert auch nicht. Wart mal, doch, jetzt hat’s geklappt. Danke, tschüs.« Sie legte auf und schüttelte genervt den Kopf. »Manchmal machen die Dinger mehr Ärger, als sie wert sind«, sagte sie leutselig zu Rebus. »Der Herr Direktor ist gleich wieder da.«
»Danke«,
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