Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Mutter im anderen Zimmer schlief. Beide Male sei die Initiative von Maisie ausgegangen. McAnally wusste, dass sie ein »anständiges Mädchen« war, nahm aber an, dass sie sich zu Hause langweilte. Er wusste, dass er »kein junger Spund« mehr war, ebenso wenig »ein Mister Universum«, und nur ihre häuslichen Verhältnisse erklärten, warum Maisie Sex mit ihm haben wollte - »ich könnte wetten, dass ich nicht der Einzige war«. Maisie selbst hatte dazu nie etwas geäußert, und McAnally war es ziemlich gleichgültig gewesen, »solang er zum Schuss kam«.
Nachdem sie im Wohnzimmer ein paar Worte gewechselt hatten, schlug Maisie vor, sie sollten ins Schlafzimmer ihrer Mutter gehen, da die ein Doppelbett habe, sie, Maisie,
dagegen nur ein schmales. (McAnally konnte, dazu aufgefordert, Maisies Schlafzimmer beschreiben, doch das bewies nichts, da er später zugab, ein paar Wochen zuvor dort gewesen zu sein, um an einer Lampe eine schadhafte Fassung auszuwechseln.)
Am fraglichen Abend zogen sie also ins Schlafzimmer der Mutter um, wo der Geschlechtsakt - in McAnallys Worten - »in Hündchenstellung« vollzogen wurde. Auf die Frage, warum gerade so, erklärte McAnally, er nehme an, Maisie habe vielleicht keine Lust gehabt, seine »hässliche alte Fresse« zu sehen. McAnally konnte von Glück sagen, dass nicht Rebus ihn verhört hatte; wahrscheinlich hätte er ihm eine in selbige Fresse gehauen.) McAnally gab an, die Wohnung unmittelbar danach verlassen zu haben, da Maisie es nicht möge, wenn er sich danach noch lange aufhalte. Er erklärte außerdem, Maisie habe das Kondom besorgt. »Ich kann ja nicht mit Parisern in der Tasche rumlaufen, Tresa würde die sofort finden.«
Ja, er war schon ein reizender Zeitgenosse gewesen, der Hugh McAnally.
Vergewaltigungsfälle konnten Probleme aufwerfen.Wenn Aussage gegen Aussage stand, verlangte das schottische Recht zusätzliche Beweise. Aber bei mutmaßlichen Vergewaltigungen ließen sich nur selten unwiderlegliche Beweise beibringen - Vergewaltiger arbeiteten gewöhnlich nicht vor Publikum. In diesem Fall aber gab es den Schrei des Mädchens (den einige, wenn auch nicht alle, Nachbarn gehört hatten) sowie die Tatsache, dass Maisie, wie Davidson selbst bemerkte, eine »verdammt gute Zeugin« abgab. Sie wollte in den Zeugenstand treten (viele Vergewaltigungsopfer waren - aus leicht nachvollziehbaren emotionalen Gründen - nicht dazu bereit), und sie wollte aussagen. Sie war entschlossen, »den alten Dreckskerl hinter Gitter zu bringen«.
Und sie tat’s.
Nach dem Schrei gefragt, sagte McAnally zunächst, sie sei »eine Schreierin« - mit anderen Worten, sie schreie immer beim Orgasmus. Davidson hatte mit Bleistift eine Bemerkung an den Rand geschrieben, möglicherweise in der Absicht, sie später wieder auszuradieren: »Welches junge Mädchen würde bei einem Kerl wie dir schon einen Orgasmus kriegen?« Später überlegte es sich McAnally anders und erklärte, es habe gar keinen Schrei gegeben, überhaupt keinen. Was der Anklagevertretung ausgezeichnet ins Konzept passte, da sie über mehrere Zeugen verfügte, die bereit waren zu beschwören, dass sie einen Schrei gehört hatten.
Ein Umstand, sagte sich Rebus, der, wenngleich im Gesamtkontext des Falles von eher untergeordneter Bedeutung, fast mit Sicherheit die Entscheidung der Geschworenen herbeigeführt hatte. In fast allen Punkten hatte seine Aussage gegen ihre gestanden; aber es hatte Zeugen für den Schrei gegeben, Zeugen wie Helena Profitt.
Miss Profitt hatte eine Aussage gemacht, war aber nicht als Zeugin aufgerufen worden. Das war wahrscheinlich die Entscheidung des Staatsanwalts gewesen. Die Staatsanwaltschaft hatte Miss Profitt vor der Verhandlung vernommen und zweifellos erkannt, dass sie schüchtern und nervös war und vor Gericht schwerlich einen überzeugenden Eindruck machen würde. Der Kronanwalt hatte nur die besten Nachbarn ausgewählt, um sie den Geschworenen vorzuführen. In der Hinsicht die richtige Entscheidung zu treffen gehörte schließlich zu seinem Job.
Rebus streckte die Hand nach einer weiteren Dose Bier aus und stellte fest, dass sie alle leer waren. Er ging zum Kühlschrank und fand eine einsame, schon seit mehreren Monaten abgelaufene Dose. Sie fühlte sich eiskalt an, schäumte aber noch ordentlich, als er sie aufriss. In letzter Zeit trank er mit dem Mundwinkel, um die andere, schmerzende
Seite weder mit zu Heißem noch mit zu Kaltem zu behelligen. Er stellte die Dose ab und briet sich
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