Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman

Bewegung hinter dem Erkerfenster wahr. Die Klingel war ein altmodisches Ding, an dem man außen zog, worauf innen eine Glocke läutete. Rebus hörte, wie sich eine Tür öffnete und dann ein Schnappriegel aufgezogen wurde. Es war der Councillor selbst, der die massive Haustür öffnete.
    »Guten Morgen, Mr. Gillespie, hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit?«
    »Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit, Inspector.«
    Von innen hörte Rebus ein mechanisches Winseln, dann
das Geräusch einer niesenden Frau. Gillespie stützte sich mit der Hand gegen den Türpfosten und versperrte dadurch Rebus den Weg ins Haus. Vor der Tür herrschten nicht gerade hochsommerliche Temperaturen, aber der Councillor schwitzte.
    »Ich habe dafür vollstes Verständnis, Sir«, erwiderte Rebus, »aber es dauert nur eine Minute.«
    »Haben Sie mit Helena Profitt gesprochen?«
    »Ja, hab ich. Und übrigens, herzlichen Dank, dass Sie mir das Joint Police Board auf den Hals gehetzt haben.«
    Gillespie dachte gar nicht daran, sich zu entschuldigen. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich Freunde habe.«
    Von innen ertönte ein Japsen wie von einem Pekinesen, der einen wohl verdienten Tritt in den Arsch bekommt, und dann eine wütende Frauenstimme.
    »Tom! Tom!«
    Gillespie tat, als habe er nichts gehört.
    »Ich glaube, man ruft nach Ihnen«, bemerkte Rebus.
    »Hören Sie, das ist wirklich nicht der richtige Augenblick, um -«
    » Herrgott , Tom!«
    Gillespie unterdrückte einen Fluch, machte kehrt und rannte ins Haus. Die Tür begann, unendlich langsam zuzufallen. Rebus stieß sie wieder auf und trat in den Flur.
    »Das verflixte Ding streikt schon wieder«, hörte er die Frau sagen. »Warum zum Teufel kannst du das nicht machen?«
    Dann Gillespie, der sich bemühte, leise zu reden: »Lass ihn bloß nicht ins Haus! Jetzt geh schon!«
    Eine Frau stolperte aus dem vorderen Zimmer, als sei sie von hinten geschubst worden. Sie stieß mit Rebus zusammen, und ein paar leere Aktenordner fielen klappernd auf den gefliesten Boden.
    »Verdammt«, schimpfte sie. Bevor die Tür hinter ihr zufiel,
konnte Rebus sehen, dass das Erkerzimmer als Büro, mit einem Schreibtisch, auf dem ein Computer stand, Kommoden und darauf gestapelten Papieren, genutzt wurde. Er konnte nicht erkennen, was das Geräusch verursachte, und auch Gillespie nicht entdecken, aber er hörte einen Knall, der ihm verriet, dass der Councillor irgendeinem Gerät einen Fausthieb oder einen Fußtritt verpasst hatte.
    Er half der Frau, die Ordner wieder aufzusammeln. »Hübsche Farben«, sagte er.
    »Was?« Sie strich sich ein paar lose Haare hinter das Ohr. Sie war eine große, grobknochige Frau mit ausgeprägten Gesichtszügen. Ihr dichtes dunkles schulterlanges Haar war an der Seite gescheitelt und wirkte etwas stumpf. Umso lebendiger waren ihre Augen: Sie loderten förmlich. Sie sah gestresst aus, aber ihre Aufmachung war von ausgesuchter Eleganz: eine perlfarbene Seidenbluse und ein langer Schottenrock in den Farben des Royal Highland Regiments.
    »Die Aktenordner«, erklärte Rebus. »Die, die ich kaufe, scheinen irgendwie immer nur blau oder grau oder grün zu sein. Diese sind... na ja, sie sind bunter.«
    Sie sah ihn an, als sei er verrückt; es waren schließlich bloß Aktenordner.
    »Ein Schreibwarengeschäft auf der George Street«, sagte sie.
    Rebus nickte und versuchte, nicht so auszusehen, als präge er sich die Buchstaben ein, die auf dem Deckel des obersten Ordners standen. Nicht dass die Buchstaben SDA/SE besonders schwierig zu merken gewesen wären …
    »Funktioniert irgendwas nicht?«, fragte Rebus.
    Sie war ein wohlerzogenes Mädchen gewesen, hatte zu Hause und in der Schule Manieren gelernt. Sie konnte unmöglich eine so beiläufig gestellte, so harmlos klingende Frage unbeantwortet lassen.

    »Der Reißwolf«, sagte sie.
    Rebus nickte und bestätigte, auch er habe immer wieder Probleme mit seinem Aktenvernichter. »Sie müssen Mrs. Gillespie sein?«
    »So ist es.«
    »Er spannt Sie ganz schön ein, wie?«
    Sie versuchte zu lachen. » Zwangsrekrutiert werde ich!«
    »Ich dachte, Councillor Gillespie hätte eine Sekretärin.«
    Ihr Lächeln verschwand. Sie versuchte, sich gerade eine Lüge auszudenken, mit der sie ihn abspeisen könnte, als die Tür aufging und Gillespie herauskam. Diesmal sah Rebus, mit einem hastigen Blick ins Zimmer, mehrere Pappkartons voll langer Papierstreifen. Geschredderte Akten.
    Gillespie schob seine Frau sanft, aber bestimmt ins Büro