Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
schloss den Schrank wieder ab.
Auf dem Weg nach Haus machte Rebus kurz Zwischenstation und besorgte ein Glas Kaffee, Brötchen, Speck und zwei Viererpacks Export. Es würde eine lange Nacht werden.
In der Wohnung war es halbwegs warm. Er leerte den Behälter unter dem undichten Heizkörper und stellte ihn wieder hin, dann schaltete er die Hi-Fi-Anlage ein. Er spülte drei Aspirin mit einem Schluck Bier hinunter und betrachtete sich dann im Spiegel. Die Haut beidseits und unter seiner Nase war entzündet. Wenn er an einem bestimmten Zahn rüttelte, fühlte er sich taub, gefühllos an, während dessen Nachbarn so kribbelten, als stünden sie unter Strom. Die Blase auf seinem Handteller hatte sich zurückgebildet und wurde jetzt lediglich von einem dünnen Streifen Heftpflaster bedeckt. Unter dem Pflaster war die Seriennummer des Motors noch immer klar und deutlich zu lesen.
Ich bin echt toll in Schuss, dachte er. Ein wirkliches beschissenes Luxusexemplar.
Er nahm das Bier mit ins Wohnzimmer, setzte sich mit den Berichten in seinen Sessel und fing an zu lesen.
Er begann mit dem »Ergebnis der Ermittlungen«, überflog nur rasch die »Liste der Beweisstücke« und die »Liste der Zeugen«, übersprang den »Jahresurlaub der Beamten« und vertiefte sich dann in die »Aussagen und Tonbandabschriften«. Bei den Zeugen handelte es sich um Nachbarn, das Opfer selbst, die Ehefrau des Beschuldigten, zwei Barkeeper und den Polizeiarzt (Dr. Curt, wie sich herausstellte), der Opfer und Beschuldigten untersucht und von
beiden Gewebeproben entnommen hatte. Maisie Finch war im Krankenhaus untersucht worden, wo sie den Rest der Nacht unter Beobachtung verbrachte. Es wurde vermerkt, dass sich ihre Mutter - ohne etwas von der Anwesenheit der Tochter zu ahnen - zu dem Zeitpunkt im selben Krankenhaus befunden hatte, gerade eine Etage höher.
Hugh McAnally war auf der Krankenstation in Torphichen untersucht worden. Während der Untersuchung hatte er wiederholt protestiert: »Ich hab einen Pariser benutzt, verdammte Kacke, was soll die ganze Aufregung?«
Mit diesen Worten hatte er sich keine Freunde gemacht.
Die Geschichte vom Standpunkt des Opfers aus: Maisie war allein in der Wohnung gewesen, da sich ihre Mum wegen eines kleineren Eingriffs im Krankenhaus befunden hatte. Schon damals war ihre Mutter praktisch ans Haus gefesselt, und Maisie hatte sich rund um die Uhr um sie gekümmert. (Niemand hatte sie gefragt, was es für ein Gefühl war, den ganzen Tag allein mit einer Kranken zu verbringen, oder wie sie sich gefühlt hatte, als ihre Mum ins Krankenhaus kam... Rebus erinnerte sich an seine Begegnung mit der jungen Frau - die Bierflaschen, die »Urlaubsstimmung«.) Maisie kannte Mr. McAnally schon seit Jahren. Sie betrachtete ihn nicht nur als Nachbarn, sondern als Freund der Familie.
McAnally sagte zu ihr, er sei gekommen, um sich nach ihrer Mutter zu erkundigen. Obwohl er nach Alkohol roch, hatte sie ihn hereingelassen und angeboten, ihm eine Tasse Tee zu kochen. Er fragte sie, ob sie nicht etwas Stärkeres habe. Sie wusste, dass sich im Kleiderschrank ihrer Mutter eine Flasche Whisky befand. Sie stand da schon seit dem Tod ihres Vaters. Maisie ging sie holen, und McAnally folgte ihr. Er stieß sie mit dem Gesicht nach unten aufs Bett und presste ihr den Kopf mit einer Hand auf die Matratze …
Hinterher nuschelte er irgendetwas. Sie meinte, es könnte eine Entschuldigung gewesen sein, aber vielleicht auch nicht. Er ging hinaus, ohne die Wohnungstür hinter sich zuzuziehen. Sie konnte ihn die Treppe hinuntertrampeln hören. Sie rannte zur Tür der McAnallys und hämmerte so lange dagegen, bis ihr aufgemacht wurde. Mrs. McAnally benachrichtigte selbst die Polizei.
McAnally verließ nach eigenen Angaben das Haus, ging auf die Lothian Road und kehrte in zwei Pubs ein, in denen er regelmäßig verkehrte. Diese Angabe wurde durch die zwei Barkeeper bestätigt. Anschließend kaufte er sich eine Portion Fish and Chips und hatte sie schon fast verspeist, als er sich wieder seiner Haustür näherte, wo er von zwei in ihrem Wagen auf ihn wartenden Polizeibeamten festgenommen, zum Polizeirevier Torphichen Place gebracht und verhört wurde; anschließend leitete man die Ermittlungen gegen ihn ein.
McAnallys Version lautete: Er war tatsächlich zu Maisie Finchs Wohnung gegangen, um sich nach ihrer Mutter zu erkundigen, aber auch in der Hoffnung, mit Maisie zu schlafen. Sie hatten schon einmal Sex miteinander gehabt, während ihre
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