Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
sich schuldig.«
»Tatsächlich? Könnten Sie sich denken, warum?«
»Absolut nicht. Mein Anwalt traute seinen Ohren nicht. Die Beweislage war keineswegs eindeutig, und wie ich schon sagte, hatte er als Geschäftsmann ansonsten einen ausgezeichneten Ruf. Gut möglich, dass er freigesprochen worden wäre oder man ihn höchstens zu einer hohen Geldstrafe verurteilt hätte. Aber stattdessen ging er ins Gefängnis. Ich habe mich seither oft gefragt, warum er das tat.«
Rebus fragte sich dasselbe. »Vielleicht«, sagte er, »um jemanden oder etwas zu schützen, was während der Verhandlung hätte ans Licht kommen können.«
»Aber wen oder was?«
Rebus lächelte nur und zwinkerte. Er nahm seinen Mantel von der Garderobe und zog ihn im Korridor an. Die Sprechstundenhilfe war schon gegangen. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Terminkarte. Dr. Keene nahm sie und händigte sie Rebus aus.
»Wir sehen uns in ein paar Tagen.«
Rebus betrachtete das Kärtchen. Auf der Rückseite war eine ganze Reihe Termine notiert. Sechs an der Zahl. Daten und Uhrzeiten.
»Dr. Keene«, sagte er, »wie viele Füllungen brauche ich eigentlich genau?«
»Fünfzehn«, sagte der Zahnarzt nüchtern. Dann begleitete er Rebus an die Tür.
26
An dem Abend stattete Rebus Tresa McAnally einen Besuch ab.
Die Haustür war nicht abgeschlossen, also ging er direkt hinauf. Aus der Wohnung war Musik zu hören, Partymusik und dazu rhythmisches Händeklatschen. Rebus klingelte, wartete, klingelte dann noch einmal. Die Musik wurde leiser. Hinter der Tür ertönte eine Stimme: »Wer ist da?«
»Inspector Rebus.«
»Moment.« Es dauerte lange, bis sie die Tür öffnete; und selbst dann ließ sie die Kette davor. »Was wollen Sie?«
Die Tür zum Wohnzimmer hinter ihr war geschlossen. Im Flur stand eine Kiste mit verschiedenen Spirituosen. Tresa McAnally war leger gekleidet - weites T-Shirt, eng anliegende schwarze Hose, Creolen an den Ohren - und verschwitzt, wie sie aussah, hatte sie sich gerade körperlich betätigt.
»Kann ich hereinkommen?«, fragte Rebus.
»Nein, können Sie nicht. Worum geht’s?«
»Um Wee Shug.«
»Er ist tot, Ende der Geschichte.« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. Rebus drückte mit der Hand dagegen.
»Wo kam das Geld her, Tresa?«
»Was für Geld?«
»Das Geld, das Sie in die Wohnung gesteckt haben.«
»Sie haben kein Recht, mich -«
»Vielleicht nicht, aber ich komm so lange her, bis Sie es mir sagen.«
»Dann können Sie bis zum Jüngsten Tag herpilgern.«
Rebus lächelte. »Der könnte näher sein, als Sie glauben.« Er nahm die Hand von der Tür, aber sie schloss sie nicht.
»Was meinen Sie damit?«
»Wer ist bei Ihnen?«
»Niemand.«
»Niemand?«
Nicht einmal Tresa McAnally hatte die Frechheit, die Lüge zu wiederholen. Sie drückte die Tür ins Schloss.
Rebus blieb noch einen Augenblick stehen und horchte, dann ging er zu Maisie Finchs Tür. Er klingelte, aber sie konnte ja schlecht aufmachen, wenn sie sich gerade hinter Tresa McAnallys Wohnzimmertür versteckte.
Am nächsten Morgen rief Rebus beim US-Konsulat an.
»Sie sind nicht zufällig auch ein Anrufbeantworter?«, fragte er.
»Nein.«
»Gut, könnten Sie mich dann bitte mit Mr. Haldayne verbinden?«
»Ihr Name?«
»Detective Inspector John Rebus.«
»Einen Augenblick, Inspector.«
Er brauchte nicht einmal so lange zu warten.
»Inspector? Was kann ich für Sie tun?« Ein amerikanischer Akzent, gepflegt, kultiviert. Rebus wusste nicht genau, welche amerikanischen Universitäten als besonders fein galten, aber so wie Haldayne klang, musste er mindestens zwei bis drei davon besucht haben.
»Nun, Sir, Sie könnten ja damit den Anfang machen, dass Sie Ihre Strafzettel bezahlen.«
Ein selbstbewusstes Schmunzeln. »Meine Güte, ist das alles? Nun, natürlich, wenn Sie darauf bestehen. Ich würde es ungern deswegen zu einem diplomatischen Zwischenfall kommen lassen.«
»Aber Sie könnten es dazu kommen lassen, das meinen Sie doch, oder? Die Strafzettel sind allerdings nicht der Hauptgrund für meinen Anruf. Ich würde mich gern mit Ihnen über Derwood Charters unterhalten.«
»Himmel, was hat er denn diesmal angestellt?« Eine Pause. »Sagen Sie mir jetzt nicht, dass ich mein Geld zurückbekomme!«
»Könnten wir uns darüber persönlich unterhalten?«
»Ja, sicher. Möchten Sie herkommen?« Ins US-Konsulat, wo Haldayne am konsularischsten sein würde...?
»Im North British«, schlug Rebus vor, »auf einen
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