Ein Ende des Wartens
oder an der deutschen Küste. Oder an die Ostsee, die ist auch nicht so weit weg, fasste Tammy ihre erreichbaren Möglichkeiten zusammen.
Ins Ausland wolle sie nicht fahren, sagte Annika ablehnend, und ohne, dass die beiden großartig miteinander diskutierten, stand plötzlich die Ostsee als Reiseziel fest.
Und jetzt?
Tammy war sich keineswegs sicher, was jetzt als nächstes kommen musste. Sich in Gedanken einen Kurzurlaub am Meer auszumalen war leicht, aber keiner der beiden hatte bisher einen solchen Spontanurlaub gemacht. Insbesondere Annika war nicht die Person, die ohne große Vorbereitung in den Urlaub fuhr. Es musste immer alles geklärt sein, keine offenen Fragen bestehen, und ehe sie die Wohnungstüre hinter sich zuzog und so oft, wie es nur ging, zuschloss, hatte sie mindestens fünfmal den verschlossenen Kühlschrank, den Herd und den Fernseher kontrolliert, noch mal drübergeschaut, ob auch ja jede Steckdose ausgeschaltet oder die Steckerleiste ausgezogen war.
Nun aber schlug Tammy einen überstürzten Urlaub vor, der nicht von langer Hand geplant werden konnte, und gleich hatte Annika eine Vielzahl an Fragen in ihrem Kopf, auf die sie keine einzige Antwort hatte. Doch Tammy war inzwischen so sehr von ihrer Idee des fluchtartigen Kurzurlaubs überzeugt, dass sie glaubte, auf alle diese Fragen eine Antwort zu wissen.
Mit welchem Fahrzeug? Tammy besaß kein Auto, aber Annika besaß Marcos Mercedes Benz für das kommende Jahr. Der war auch geräumig genug, um alle Sachen mitzunehmen – und zur Not konnte man in ihm schlafen, denn an Bequemlichkeit ließ er kaum etwas vermissen. Auch wenn sich Annika nicht sehr wohl dabei fühlte, eine so lange Strecke bis ans Meer mit dem schweren und großen Wagen zu fahren, wollte sie auch nicht gleich als Spielverderberin dastehen und fragte weiter.
Wo sollten sie schlafen? Ein Hotel oder ein Zimmer würde sich wohl finden lassen. Ansonsten werde im Benz geschlafen, eine Nacht überlebten sie das wohl.
Wohin an die Ostsee wollten sie denn fahren? Die Küste sei sehr lang und...
Bevor Annika weitersprechen konnte, unterbrach sie Tammy, indem sie sagte, dass es doch egal sei, an welcher Stelle an der Ostsee sie sich befänden, da es nur darum ginge, ans Meer zu fahren.
Wie sie so schnell alles packen sollten, ohne dabei was zu vergessen? Sie seien ja nicht im unbekannten Ausland, sondern blieben im Land, sodass man alles kaufen könne, was sie vergessen würden. Solange sie die Papiere, Geld und Schlüssel, Handy und ein paar Klamotten mit dabei hätten, konnte nichts schief gehen.
So langsam bekam Annika das Gefühl, dass es Tammy ernst mit der Ansage war, dass sie beide in Urlaub ans Meer fahren sollten, und als sie auf den Cocktail deutete, wischte Tammy die Bedenken weg, denn vor Mitternacht würden sie sowieso nicht loskommen – und bis dahin sei der Alkohol verflogen.
So richtig wohl war Annika bei der Entscheidung immer noch nicht, aber sie wusste auch, dass sie sich solange nicht wohl fühlen würde, bis sie es einfach tat. Sie blickte Tammy lange in die Augen, die auf eine Antwort wartete, und als Annika lächelte, kurz wegblickte, die Augen schloss und zusagte, war plötzlich eine völlig andere Stimmung zwischen ihnen. Tammy sprang vom Stuhl auf, sagte Annika, dass sie kurz bezahlen ginge und war schon nach wenigen Augenblicken wieder am Tisch. Ihre Freundin war weiterhin von der Situation so sehr überfordert, dass sie sich ohne Widerworte mitschleifen ließ und als beide das Bistro verließen und zur S-Bahn gingen, besprachen sie das weitere Vorgehen. Oder besser, Tammy bestimmte die nächsten Schritte, und da Annika keinen Widerspruch leistete, war alles klar für die bevorstehende Reise.
7
Sie hatten abgesprochen, dass jeder für sich nach Hause packen fuhr, doch als Annika ihren Koffer aus der Ecke holte, ihn öffnete und den Kleiderschrankgriff in ihrer Hand hatte, wurde ihr bewusst, was sie da gerade mit Tammy plante. Plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie den Ausflug ans Meer für eine gute Idee hielt und ließ sich auf die leere Seite des Bettes fallen, auf der Marco in den letzten beiden Nächten schon nicht mehr gelegen hatte. Sie starrte an die Decke, an der ein metallischer und nicht sehr modischer Deckenleuchter brannte, und Annika fragte sich ein weiteres Mal, ob sie nicht einfach die Augen schließen sollte, um bis zum nächsten Morgen durchzuschlafen. Dann wäre der Spuk vorbei. Natürlich wäre Tammy sauer
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