Ein Ende des Wartens
in dem sie davon berichtete, wie sie sich seit dem Zeitpunkt fühlte, an dem er ihr gesagt hatte, dass er für ein Jahr nach Afrika gehen würde. Sie wusste, dass sie dieses Gespräch viel früher und vor allem im Beisein mit Marco hätte führen müssen, doch diesen Zeitpunkt hatte sie verpasst. Sie sagte sich, dass es nun nicht mehr galt, den verpassten Chancen für ein klärendes Gespräch hinterher zu trauern, sondern, ganz im Gegenteil, mit Tatkraft die entstandene Situation anzugehen.
Annika ließ beim Niederschreiben ihren Gefühlen freien Lauf, erzählte von ihrer Unsicherheit und wie sich von Marco behandelt fühlte, suchte nicht lange nach Worten, sondern schrieb es so auf, wie es ihr in den Kopf kam. Die Worte flossen aus ihr heraus, als hätte irgendwer einen Pfropfen in ihrem Kopf gelöst und nun konnte alles abfließen. Annika spürte, wie der Druck in ihrem Inneren kleiner wurde, wie sie mit jedem Satz den Berg abtrug, den sie mit sich herumgeschleppt hatte. Nach und nach ergab sich auch für sie ein rundes Bild, das darauf hinauslief, dass sie sich zwar eine Weiterführung der Beziehung vorstellen konnte, jedoch nur unter dem Aspekt, dass er sich eindeutig positionieren würde – und zwar an ihrer Seite. Ohne Einschränkung. Sollte Annika auch nur das leiseste Gefühl haben, dass Marco es nicht ernst meinte, würde sie gehen – das beschloss sie mit sich selbst.
Sie plante, den Brief noch an diesem Abend fertig zu schreiben, damit er auf seinen langen Weg nach Afrika gehen konnte, und als sie Marcos Adresse in Afrika suchte, wunderte sie sich, dass sie nicht mal mehr wusste, in welchem Land er sich aktuell befand. Schlussendlich fand sie die Broschüre, auf der Marco ihr die Adresse notiert hatte, und Annika schrieb sie in der Hoffnung auf das Kuvert, dass es auch seine wirkliche Aufenthaltsadresse war. Sie steckte den Brief, der zwei vollgeschriebene Seiten umfasste, in das Kuvert, leckte den Klebestreifen an, schloss den gesamten Brief und hätte beinahe eine Standardbriefmarke darauf geklebt, als ihr einfiel, dass der Brief nach Afrika um einiges teurer sein musste. Sie durchforstete das Internet nach einer Information, fand eine, die ihr glaubhaft schien, und packte den Brief zu den anderen Sachen, die sie runter zu Marcos Benz trug, den sie seit ihrer Rückkehr vom Bahnhof am Mittwoch nicht mehr bewegt hatte.
Sie legte die Tasche auf die Rückbank, stieg vorne ein, verstaute ihre Handtasche und den Brief auf dem Beifahrersitz und überlegte, wo sie um diese Uhrzeit noch Briefmarken herbekam. Sie erinnerte sich daran, dass es bei der Post einen Automaten gab, fuhr einen kleinen Umweg und fand das Gebäude, vor dem sie auch den Automaten fand. Da sie zum Glück daran gedacht hatte, genügend Kleingeld einzupacken, gelang es ihr nach zwei Versuchen, die richtige Briefmarke aus dem Automaten zu erhalten, und indem sie die Marke auf der Rückseite anleckte, überkam sie der Gedanke, dass sie mit dem Absenden des Briefes ihren Noch-Lebenspartner vor eine richtungsweisende Entscheidung stellte. Mit einem Mal verspürte Annika einen inneren Druck und die damit einhergehende Unsicherheit, den Brief tatsächlich abzuschicken, und sie war drauf und dran, den Brief erst nach dem Kurzurlaub und einer reiflicher Überlegung abzuschicken, als sie plötzlich die Kladde des Kastens ergriff und den Brief hineinwarf.
Ehe sie verstand, was sie gerade getan hatte und welche Auswirkungen diese spontane Entscheidung für ihr Leben haben könnte, war der Brief ein für alle Mal aus ihrem Einflussbereich. Als sie langsam die Möglichkeiten verstand, hätte sie den Brief am liebsten wieder in ihren Händen, und obwohl sie sehr genau wusste, dass sie den Brief nicht mehr als dem Briefkasten herausfingern würde, unternahm Annika einen Versuch. Sie presste ihre Hand ausgestreckt durch den Schlitz und ließ ihre Finger in alle Richtungen tasten, doch außer dem Briefkasten selbst bekam sie nichts zu spüren. Sie versuchte die Hand weiter hineinzudrücken, quetschte ihre Handknochen, und als sie spürte, dass es wohl keinen Sinn haben würde, schaute sie umher und sah, wie eine alte Frau mit Hund auf der anderen Straßenseite stehengeblieben war, um in der vermeintlich sicheren Dunkelheit das Treiben am Briefkasten zu beobachten. Gleich, als die alte Frau erkannte, dass Annika sie entdeckt hatte, drehte sie sich weg, schnauzte ihren kleinen Terrier an, dass er ihr folgen solle und zog ihren Weg davon.
Annika bemerkte,
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