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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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Obstgarten für ein frühes Abendessen. Viele der Äpfel waren von den Opossums und Papageien angenagt worden, aber es waren genug unversehrte übrig, um uns die Bäuche vollzuschlagen. Und das taten wir auch. Den Preis bezahlten wir eine Stunde später, als wir einer nach dem anderen hinter den Bäumen verschwanden; die Äpfel gingen durch unseren Verdauungstrakt hindurch wie eine Flutwelle durch Venedig.
    Das war es aber allemal wert.
    Wir blieben bis lange nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Grundstück der Mackenzies. Wir fühlten uns relativ sicher, weil das Haus zerstört war und somit für die Soldaten keinen Reiz mehr hatte. Ich hatte gedacht, der Anblick der Verwüstung würde mich deprimieren, in Wirklichkeit war ich aber wegen unseres Vorhabens viel zu nervös, um traurig zu sein. Ehrlich gestanden (da haben wir es wieder) hatte ich längst aufgehört mir die heldenhafte Befreiung Corries und Kevins auszumalen; in diesem Moment beschäftigte mich vor allem der Gedanke an mein eigenes Überleben und die grausige Vorstellung, dass mein Körper in Kürze genauso aussehen könnte wie Corries Haus, in seine Bestandteile zerrissen und über die Landschaft verstreut.
    Der schrecklichste Gedanke – den ich zu verdrängen versuchte, wann immer er sein hässliches Gesicht zeigte – war jedoch die Möglichkeit, dass Corrie nicht mehr am Leben war. Damit würde ich nicht fertig werden. Sollte Corrie tot sein, befürchtete ich, das nicht zu überleben. Tief in mir war eine Gewissheit, dass ich nicht weiterleben könnte, sollte meine Freundin Corrie von einer Gewehrkugel umgebracht worden sein, abgefeuert von einem Soldaten einer fremden Armee, die uns den Krieg erklärt hatte. Gewiss würde ich das nicht überleben. Oder doch? Niemand würde so etwas überleben. Dafür war es zu sehr jenseits jeder Normalität.
    Ab dem Moment, als Homer vorschlug in die Stadt zu gehen und Corrie und Kevin zu suchen, verbannten wir den Gedanken aus unserem Bewusstsein, dass einer von ihnen oder beide tot sein könnten. Die Suche nach ihnen hatte unserem Leben einen neuen Sinn gegeben; wir hatten keine Eile, ihn wieder zu verlieren.
    Um elf Uhr machten wir uns auf den Weg nach Wirrawee. Wir gingen paarweise und liefen im Abstand von fünfzig Metern auf dem Grasstreifen neben der Straße. Wir hatten das Grundstück der Mackenzies gerade verlassen, als Lee plötzlich meine Hand nahm und mit der Wärme seiner eigenen umschloss. Es war sein erster Annäherungsversuch seit Wochen. Alle Bemühungen waren von mir ausgegangen, und obwohl er meistens ganz okay reagiert hatte, hatte sich bei mir eine Unsicherheit eingeschlichen, so als wäre ihm das alles ziemlich einerlei. Es fühlte sich gut an, unter dem schweren sternenlosen Himmel Hand in Hand zu gehen.
    Ich wollte unbedingt etwas sagen, und mochte es noch so banal sein, nur um Lee zu zeigen, wie glücklich ich darüber war, wieder gemocht zu werden. Ich drückte seine Hand und sagte: »Wir hätten auch die Räder nehmen können, wenigstens bis zum Haus der Mackenzies.«
    »Hmmm. Aber ohne zu wissen, wie sehr sich die Lage in der Zwischenzeit verändert hat ... Besser, wir gehen auf Nummer sicher.«
    »Bist du nervös?«
    »Nervös! Die Äpfel waren jedenfalls nicht der einzige Grund, warum ich im Galopp im Gebüsch verschwunden bin.«
    Ich musste lachen. »Ist dir klar, dass du zum ersten Mal seit Wochen eine witzige Bemerkung machst?«
    »Tatsächlich? Hast du etwa mitgezählt?«
    »Nein. Aber du schienst so traurig.«
    »Traurig? Stimmt, war ich auch. Bin ich immer noch. Sind wir wohl alle.«
    »Ja ... aber bei dir geht es so tief und dann erreiche ich dich nicht mehr.«
    »Tut mir leid.«
    »Das braucht dir nicht leidzutun. So bist du nun einmal. Dafür kann man nichts.«
    »Na gut, tut es mir eben nicht leid.«
    »He, schon wieder ein Witz. Wenn du so weitermachst, hast du demnächst deinen ersten Kabarettauftritt im Nightclub von Wirrawee.«
    »Im Nightclub von Wirrawee? Da muss mir was entgangen sein. Wenn etwas einem Nightclub von Wirrawee nahekommt, dann unser Restaurant.«
    »Weißt du noch, wie sie in der Schule immer gemault haben, dass in Wirrawee nichts los ist? Ganz zu schweigen von einem Nightclub. Im neunten Schuljahr hatten wir eine Disco, danach gab es aber nichts mehr. Hat Spaß gemacht.«
    »Ja. Wir haben einmal miteinander getanzt.«
    »Ehrlich? Das weiß ich gar nicht mehr.«
    »Ich schon.«
    Er sagte das mit so viel Gefühl und drückte meine Hand dabei so fest,

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