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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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ihn doch an der rechten Seite ...«
    Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, habe ich eine ganze Auswahl an Tagträumen auf Lager. Am liebsten zähle ich Dinge, zum Beispiel die Elektrogeräte, die wir zu Hause haben (vierundsechzig, wie ich zu unserer Schande gestehen muss), wie viele Songs mir einfallen, die einen Wochentag im Titel haben (zum Beispiel Let's make it Saturday ), die Zahl der Moskitos, die wegen des einen, den ich gerade erschlagen habe, nie das Licht der Welt erblicken würden (sechzig Milliarden innerhalb von sechs Monaten, wenn man davon ausgeht, dass jedes Weibchen eintausend Eier legt).
    Ich durfte über solchen Unsinn nicht nachdenken, immerhin lief ich durch eine Stadt, in der es vor Soldaten wimmelte, die mich umbringen wollten. Ich fand es erstaunlich, dass es mir sogar in solchen Situationen schwerfiel, mich zu konzentrieren. Zehn Minuten lang war alles in Ordnung, dann lenkte mich irgendetwas ab und sofort waren meine Gedanken überall, nur nicht dort, wo sie sein sollten. Im Geografieunterricht in der Schule war es so und hier auf diesem Schlachtfeld war es nicht anders. Ich hatte Angst, dass ich mich eines Tages zu Tode träumen würde.
    In der Honey Street durchquerten wir einen kleinen namenlosen Park, um in die Barrabool Avenue zu gelangen. Wir trafen uns wie vereinbart im Vorgarten von Robyns Musiklehrerin und besprachen uns rasch unter dem Pfefferbaum.
    »Es ist ruhig«, sagte Homer.
    »Zu ruhig«, grinste Lee, wobei er offensichtlich auf die vielen Kriegsfilme anspielte, die er gesehen hatte.
    »Vielleicht sind sie alle fort«, meinte Robyn.
    »Wir sind keine zwei Häuserblocks entfernt«, sagte Homer. »Machen wir weiter wie geplant. Sind wir alle fröhlich?«
    »Könnte mich totlachen«, erwiderte Chris.
    Robyn und Homer schlichen auf Zehenspitzen unter den Bäumen davon. Kurz darauf hörten wir, wie ihre Füße auf dem Schotter landeten, als sie vom Garten zurück auf den Gehweg sprangen.
    »Können wir als Nächste gehen?«, flüsterte Fi.
    »Okay. Warum?«
    »Ich halte das Warten nicht aus.« In der Finsternis sah sie viel zu dünn aus, beinahe durchsichtig. Ich berührte ihre Wange, die eiskalt war, und sie schluchzte kurz auf. Mir war nicht bewusst, wie sehr sie sich fürchtete. Die Zeit, die wir wie in einem Loch in der Hölle verbracht hatten, war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Hier draußen auf den Straßen mussten wir aber stark sein. Wenn wir das Krankenhaus durchsuchen wollten, brauchten wir Fi.
    Daher sagte ich bloß: »Du musst mutig denken, Fi.«
    »Ja, du hast Recht.«
    Sie machte kehrt und folgte Chris, während Lee wieder meine Hand ergriff.
    »Ich wünschte mir, Fi und ich wären wieder so gute Freundinnen wie vorher«, sagte ich. Er erwiderte nichts, drückte bloß meine Hand.
    Wir kehrten zur Barrabool Avenue zurück und verteilten uns neuerlich auf die rechte und linke Straßenseite. Endlich gelang es mir, mich zu konzentrieren. Logisch betrachtet konnte die Gegend rund um das Krankenhaus nicht gefährlicher sein als irgendein anderer Stadtteil – in einem Punkt waren wir uns ganz sicher: dass das Krankenhaus nicht schwer bewacht sein würde –, da es aber unser Bestimmungsort, unser Ziel war, war ich mit einem Mal aufmerksam, wachsam und nervös.
    Das Krankenhaus von Wirrawee liegt auf der linken Seite der Barrabool Avenue, vom Kamm des Hügels nicht mehr weit entfernt. Es ist ein einstöckiges Gebäude, das im Laufe der Jahre ausgebaut wurde und immer wieder neue Flügel erhielt, so dass es heute aussieht wie ein H, an das unmittelbar ein T anschließt. Da jeder von uns das Gebäude ganz gut kannte, hatten wir mit vereinten Kräften einen ziemlich guten Lageplan erarbeitet. Jeder steuerte seine Information bei. Lee kannte es von den zwei Malen, als seine beiden kleinen Brüder zur Welt kamen. Robyn hatte ein paar Tage dort verbracht, als sie sich beim Querfeldeinlauf den Knöchel brach. Fis Großmutter war monatelang dort gewesen, bevor sie starb. Mir hatte man die Schulter geröntgt, dann war ich mehrmals dort gewesen, um Dads Medikamente von der Krankenhausapotheke abzuholen oder Freunde zu besuchen. Ja, wir alle kannten das Krankenhaus.
    Was wir nicht wussten, war, wie viel seit der Invasion verändert worden war. Die erwachsenen Gefangenen, mit denen wir uns einmal unterhalten hatten, hatten uns gesagt, dass unsere Leute immer noch im Krankenhaus behandelt wurden; dass sie nicht in den Zimmern für Privatpatienten behandelt wurden, lag allerdings auf

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