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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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hätte an einem Zebrastreifen gehalten, um einen Soldaten mit einem Maschinengewehr über die Straße zu lassen. In jener Nacht, aber auch in anderen Momenten verdankte ich Robyns Mut sehr viel. Ich hoffte bloß, sie nicht auszusaugen wie ein Blutegel.
    Homer gegenüber saß Fi und ließ ihre schmalen Füße, die perfekten Fesseln und Beine einer Ballerina, ins Wasser baumeln. Sie sah aus wie immer: bereit deiner Großmutter Tee in feinstem Porzellan zu servieren oder für das Titelblatt eines Modemagazins fotografiert zu werden. Bereit einem Jungen das Herz zu brechen oder ein Mädchen rasend vor Eifersucht zu machen oder deinen eigenen Vater erröten und lachen und dummes Zeug reden zu lassen, als wäre er auf einmal zwanzig Jahre jünger. Genau. Fi war hinreißend, bildschön und zerbrechlich. Und auch das war Fi: eine, die in der Nacht allein durch den stockfinsteren Busch läuft und nach feindlichen Patrouillen Ausschau hält, eine in Benzin getränkte Zündschnur anzündet und eine Brücke in die Luft sprengt und auf einem Motorrad querfeldein im Zickzack davonrast, während auf sie geschossen wird.
    Was Fi anging, hatte ich mich ebenfalls getäuscht.
    Wirklich durchschaut hatte ich sie aber noch lange nicht. Nach dem Anschlag auf die Brücke hatte sie kichernd gesagt: »Ich kann einfach nicht glauben, dass ich das getan habe! So etwas sollten wir öfter machen!« Doch als Kevin mit der bewusstlosen Corrie losgefahren war, hörte sie eine Woche lang nicht auf zu weinen.
    Fi hatten meine Aufzeichnungen mehr als alle anderen verletzt. Sie warf mir vor, ich hätte ihr Vertrauen missbraucht und sie und Homer wie zwei Kängurujunge, wie Kinder beschrieben; außerdem hätte ich sie angeschwindelt, weil ich ihr meine wahren Gefühle für Homer verschwiegen hatte. Inzwischen weiß ich, dass das, was ich geschrieben habe, an ihrer Beziehung nicht spurlos vorbeigegangen ist. Sie gehen seither sehr befangen und gehemmt miteinander um. Ich hätte wissen müssen, dass das passieren würde. In der Hinsicht war ich wirklich blöd gewesen.
    Homer war auch verletzt gewesen, obwohl er mich nicht direkt darauf ansprach. Das war ein schlechtes Zeichen, weil es uns doch immer so leicht gefallen war, miteinander zu reden. Mir gegenüber war er nun auch befangen. Wenn wir mal irgendwo allein waren, murmelte er sofort eine Ausrede und machte sich aus dem Staub. Das machte mir sehr zu schaffen, mehr noch als Fi.
    So sieht sie also aus, die Macht des geschriebenen Wortes.
    Inzwischen ist die Stimmung wieder besser geworden. Wir sind eine viel zu kleine Gruppe, um auf Dauer verfeindet zu bleiben. Dafür sind wir viel zu sehr aufeinander angewiesen. Meiner Meinung nach lag es großteils daran, dass wir erschöpft waren und angespannt wie der Draht eines neuen Zauns, der bei der geringsten Kleinigkeit zu singen anfängt. Ich wünschte mir verzweifelt, dass alles wieder so wäre wie früher. Lee und Robyn waren die Einzigen, denen ich mit meinen Aufzeichnungen nicht zu nahe getreten war. Sie behandelten mich nicht anders als sonst. Meine Probleme mit Lee lagen ganz woanders – er zog sich häufig in sich zurück, verschwand buchstäblich vor meinen Augen. Es wurde immer schwerer, ihn aus seinem inneren Zufluchtsort wieder hervorzulocken.
    Wir fingen also mit unserer Versammlung an, obwohl ich nicht weiß, warum ich sie so nenne. Sie hatte überhaupt nichts Förmliches, und auch wenn Homer meistens den Vorsitz zu übernehmen schien, waren wir alle gleichberechtigt und sprachen aus, was uns durch den Kopf ging.
    So träge wie diesmal waren wir aber noch nie gewesen. Es war klar, dass Homer als Einziger etwas zu sagen hatte. Außerdem wirkte er nervös. Es dauerte eine Weile, bevor er die Katze aus dem Sack ließ. Wir waren ihm auch keine große Hilfe, ließen unsere Blicke über den Bach wandern, während Lee weiterhin mit seinem Zweig beschäftigt war und Chris in sein Notizheft schrieb. Ich kratzte lustlos mit einem Knochensplitter auf der Oberfläche eines Steins herum.
    »Ich finde, es wird Zeit, dass wir unsere grauen Zellen wieder in Bewegung setzen. Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können hier rumsitzen und darauf warten, dass etwas passiert, oder wir gehen raus und sorgen dafür, dass etwas passiert. Wir können uns wie Lees Holzstücke vom Bach herumwerfen, prügeln und in die Tiefe ziehen lassen oder den Bach neu gestalten, die Felsen rausschaffen und dafür sorgen, dass die Strudel verschwinden. Je länger wir warten, umso

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