Ein endloser Albtraum (German Edition)
versuchte den schweren Kartoffelsack zur Seite zu rücken, der neben ihren Köpfen stand.
»Nein, Fi, und den Zucker auch nicht.«
Als wir wieder bei meinem Haus waren, wollte ich Minze pflücken und beging den schweren Fehler, mich von den anderen zu entfernen. Der kurze Weg zum Minzebeet wäre fast mein Ende gewesen. Als ich mich bückte, um die Büschel abzuschneiden, spürte ich auf einmal wieder den großen schwarzen Schatten; er schwebte über meinem Kopf wie ein räuberischer Adler. Ich wagte es nicht, den Blick zu heben, denn trotz der stockdunklen Nacht wusste ich, dass der Schatten den Himmel an Schwärze übertreffen würde.
Ich hätte nicht allein zu dem Minzebeet gehen dürfen. Ich war zum ersten Mal allein, seit ich den Soldaten in der Buttercup Lane erschossen hatte. Sobald ich mich von meinen Freunden entfernte, schien sich dieses grauenhafte Wesen über den ganzen Himmel auszubreiten.
Ich hockte in dem Feld und konnte mich nicht mehr rühren. Mir standen die Haare zu Berge, und obwohl ich mein Gesicht in der Minze vergraben hatte, roch ich ihren Duft nicht. Nach einer Weile hörte ich Homer meinen Namen rufen und dann hörte ich seine schweren Schritte und das Rascheln, als er durch den wuchernden Goldlack ging. Er fand mich nicht gleich, denn ich brachte keinen Ton hervor; seine eigene Stimme wurde inzwischen immer besorgter. Als er mich endlich entdeckte, war er erstaunlich sanft, streichelte behutsam meinen Nacken und murmelte Worte, die ich nicht richtig verstand.
Ich kehrte mit ihm zum Landrover zurück. Zu den anderen sagte ich kein Wort, ich sah sie nicht einmal an, sondern setzte mich hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel. Endlich waren wir auf dem Weg zu dem Ort, den ich inzwischen mein Zuhause nannte: die Hölle. Wir versteckten den Landrover an der üblichen Stelle, banden die Lämmer mit Stricken fest und gaben ihnen noch einen Eimer Wasser, luden uns einen Teil der Vorräte auf und gingen los. Wir stolperten mehr, als wir gingen. Wir waren an unsere Grenzen gestoßen, physisch, geistig und emotional, und ich war froh, dass wir nicht noch tiefer schürfen mussten, um einen letzten Rest Energie zu finden. Ich glaube, keiner von uns hatte noch irgendwelche Reserven. Ich verfiel in einen Trott, setzte einen Fuß vor den anderen und das gelang mir schließlich so gut, dass ich wahrscheinlich ewig hätte weitergehen können, wären da nicht die Strecken gewesen, die steil bergab führten und meine Beinmuskeln aufs Äußerste anspannten. Als wir beim Lagerplatz ankamen, musste mich Homer mehrmals in den Rücken stoßen, als suchte er nach meinem Ausknopf, damit ich endlich stehen blieb. Wir torkelten in unsere Zelte und murmelten uns gerade noch ein »gute Nacht« zu, bevor jeder in seine ganz private Schlafhölle eintauchte.
Obwohl ich nicht damit gerechnet hatte, schlief ich. Die ganze Nacht träumte ich von einem Wesen, das sehr groß und sehr zornig war, neben mir hockte und mit so lauter Stimme auf mich einschrie, dass mein Körper von dem Lärm vibrierte. Ich erwachte sehr früh und kuschelte mich an Fi. Ich weiß nicht, was in meinem Kopf los war: Ich schien von der Idee verfolgt zu sein, dass ich mich verstecken musste und unter keinen Umständen allein sein durfte. Es war wie die Ahnung einer drohenden tödlichen Gefahr, und wie eine Ratte, die von einer Eule bedroht wird, wollte ich mich verkriechen. Nur, im Unterschied zur Ratte wollte ich mich nicht unter einem Ding verkriechen, sondern unter einem Menschen.
Seit jener Nacht scheine ich von allem weniger getan zu haben: Ich schlafe weniger, esse weniger, rede weniger. Auch als Mensch habe ich das Gefühl, weniger geworden zu sein: Weil ich einen sterbenden Soldaten getötet habe, lebe ich nun selbst weniger.
Irgendwann stand ich auf und wusch mir das Gesicht.
Der Tag schleppte sich dahin, Stunde um Stunde verging, keiner hatte große Lust, irgendetwas zu tun, schon gar nicht über wichtige Dinge zu reden.
Unsere Vorräte befanden sich noch großteils im Landrover. Die Versuchung war groß, sie einfach dort zu lassen. Aber am späten Nachmittag, nachdem ich kurz geschlafen hatte – eines dieser Nachmittagsschläfchen, nach denen man sich schlechter fühlt als vorher –, raffte ich mich auf, einen Trupp zusammenzustellen. Ich dachte vor allem an die Lämmer und ich wollte den anderen beweisen, dass ich noch zu etwas nutze war, dass ich kein schlechter Mensch war, auch wenn ich andere umbrachte.
Es war nicht
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