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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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klebte, schien auch die Luft kälter und irgendwie dunkler als sonst. Ich fragte mich, ob dieses Gefühl von nun an Teil meines Lebens sein würde und ob der Schatten mit jedem Menschen, den ich umbrachte, größer, dunkler und monströser werden würde.
    Ich schaute zu den anderen hinüber. Ich bemühte mich meinen Blick auf sie zu konzentrieren, und als ich das tat, löste sich der Schatten schrittweise auf. Dann, als staute sich das Blut in meinen Augen, wurde mein Blick auf einmal viel schärfer. Ich nahm jeden Einzelnen, die Art, wie sie aussahen, ganz genau wahr. Vielleicht lag es an dem Licht, ich könnte es nicht mehr sagen. Ich sah sie, als befänden sie sich plötzlich auf einer riesigen Leinwand, auf der die Wolken und der sich langsam verdunkelnde Himmel den Hintergrund bildeten. Es war nicht so, als sähe ich sie zum ersten Mal; nur, auf einmal sah ich sie mit anderen Augen, wie eine Fremde oder Außenseiterin.
    Wir trugen Tarnkleidung. Das war längst selbstverständlich geworden. Manchmal sehnte ich mich so sehr danach, wieder helle und bunte Kleidung zu tragen, dass es fast wehtat, aber davon konnte vorläufig keine Rede sein. An diesem Tag waren mir meine Khakihosen und das Grau nur recht; es sollte eins mit meinem Körper werden, mein Trauergewand sein.
    Wir waren über zwei Koppeln verteilt und befanden uns eigentlich auf freiem Feld. Das war gefährlich, aber wahrscheinlich nicht allzu sehr. Die einzige wirkliche Gefahr drohte uns aus der Luft, doch wir dachten, wir würden die Flugzeuge oder Hubschrauber rechtzeitig hören, um in Deckung gehen zu können. Dafür gab es genügend Bäume.
    Der Marsch dauerte schon lange. Gott, war ich müde. Das waren wir alle. Chris war ein wenig zurückgefallen und ging mit hängendem Kopf. Mit meinen neuen Augen sah ich, wie klein und schmal er eigentlich war: ein blonder, ernster Junge, der jünger aussah als wir anderen. Ihm gegenüber und fünfzig Meter weiter vorne ging Fi, die sich trotz ihrer Erschöpfung mit einer Anmut bewegte, als müssten ihre Füße den Boden bei jedem Schritt nur leicht berühren, um vorwärtsgetrieben zu werden. Beim Gehen blickte sie sich um wie ein wilder Schwan auf der Suche nach Wasser. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte nur einen Bruchteil ihrer Eleganz. Bei ihrem Anblick vergaß man, dass ihre Kleider genauso verdreckt waren wie die eigenen, ihr Körper genauso übel roch und schmutzig war. Sie hatte Klasse, ohne sich dessen bewusst zu sein; das war ihr Geheimnis, und weil ich das wusste, würde ich es selbst nie haben.
    Zugegeben, das war nur ein Grund, warum ich es nie haben würde.
    Hundert Meter zu meiner Linken ging Homer. Da er unter einer Reihe schmächtiger Pappeln ging, die als Windfang gepflanzt waren, verschwand er immer wieder aus meinem Blickfeld. Er war groß und stämmig, hatte die Schultern hochgezogen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen, und sah dadurch mehr denn je wie ein großer Bär aus. Es war schwer zu sagen, was er in diesem Moment durchmachte. Er war schon so oft in Schwierigkeiten gewesen, dass er eigentlich daran gewöhnt sein müsste. Aber das hier war etwas anderes. Ich konnte mich noch immer nicht entscheiden, ob ich wütend auf ihn sein sollte oder nicht, weil er eine unserer Abmachungen missachtet hatte. Stärker noch als meine Wut waren mein Mitleid und das Entsetzen, das mich beim Gedanken an seine Tat packte; hinzu kam meine Verwirrung, weil er wahrscheinlich Recht gehabt hatte. Es war keine Zeit gewesen, ihn zu fragen, was in ihm vorging, ob alles in Ordnung war. Das musste warten, bis wir wieder in der Stille und im Frieden der Hölle waren. Inzwischen ermöglichte mir die Frage, wie es ihm gehen mochte, mich nicht mit meinem eigenen Befinden auseinandersetzen zu müssen.
    Auf der anderen Seite ging Robyn. Bei ihrem Anblick musste ich unwillkürlich an die Helden in den Geschichtsbüchern denken; diese alten Könige, denen man zu ihren eigentlichen Namen einen Beinamen verliehen hatte: Eduard der Bekenner, Aethelred der Unberatene, Wilhelm der Eroberer. Robyn war Robyn die Unerschrockene. Solange alles ruhig und normal war, blieb Robyn im Hintergrund. Kaum war das Gegenteil der Fall, schnappte sie sich eine Axt, schwang sie über ihrem Kopf und ging zum Sturmangriff über. Wenn die Gefahr am größten und die Dinge am grauenhaftesten waren, lief sie zu Höchstform auf. Nichts schien sie abzuschrecken. Vielleicht dachte sie, sie sei unantastbar. Ich weiß es nicht. Auch

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