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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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jetzt schritt sie unbekümmert aus und trug den Kopf dabei hoch. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie sang, denn mit ihrer linken Hand klopfte sie auf ihren Schenkel.
    Der andere, der guter Dinge schien, war Lee. Als wir die Brücke sprengten, hatte sich zu seiner Freude auch Enttäuschung gesellt, weil er damals wegen seines verletzten Beins nicht wirklich mitmachen konnte. Dieses Mal hatten wir eine Menge Schaden angerichtet – das wussten wir – und Lee war mittendrin gewesen. Wenn wir auf freiem Feld unterwegs waren oder große Entfernungen zurücklegten, bewegte sich Lee wie ein Vollblut, und auch jetzt schritt er kraftvoll und mit vorgestrecktem Kopf aus und legte mühelos Kilometer um Kilometer zurück. Ab und zu sah er zu mir herüber und lächelte oder blinzelte mir zu. Sollte ich mich darüber freuen, dass er so stolz war, oder hatte ich Grund zur Sorge, weil er offenbar mit Genuss tötete und zerstörte? Wenigstens war das Leben auf diese Weise für ihn weniger kompliziert.
    Was mich anlangte, stauten sich in meinem Kopf so viele Gedanken, dass ich das Gefühl hatte, sie würden mir aus den Ohren gedrückt. Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie mir aus der Nase getröpfelt wären. Ich konnte unmöglich alles auf einmal verarbeiten. Ich beschloss mich vorläufig keinem dieser Gedanken zu stellen und fing an unregelmäßige französische Verben zu konjugieren. Je vis, tu vis, il vit, nous vivons, vous vivez, ils vivent. Je meurs, tu meurs, il meurt, nous mourons, vous mourez, ils meurent. Das schien sicherer, als über unseren Hinterhalt nachzudenken, außerdem hielt ich auf diese Weise meinen riesigen dunklen Schatten ein wenig länger in Schach.
    Wir erreichten mein Haus im letzten Tageslicht. Diesmal betrat ich es nicht. Es hatte bereits etwas Unvertrautes, als wäre es irgendein altes Gebäude, aus dem wir vor langer Zeit ausgezogen waren. Dass es leer stand, war eindeutig. Der Rasen vor dem Haus war wie wild gewachsen und zu einer struppigen und dichten Wiese geworden. Eines der Bogenfenster zum Esszimmer hatte quer durch die Mitte einen Sprung; keine Ahnung, wie das geschehen konnte. Vielleicht war ein Vogel irrtümlich in die Scheibe geflogen. Der Weinstock war teilweise vom Gitter gestürzt und breitete sich nun über den Weg und den Garten aus. Das war meine Schuld. Dad hatte mir mindestens ein Dutzend Mal gesagt, ich sollte ihn besser festbinden.
    Der treue Landrover stand geduldig im Gebüsch, gut verborgen vor den Augen der Spähtrupps. Ich fuhr ihn zum Schuppen und füllte den Tank. Zum Glück war unser Treibstoff in einem Hochbehälter und ließ sich durch das Gefälle problemlos in den Benzintank des Wagens leiten. Irgendwann, das war klar, würde uns das Benzin ausgehen. Keine Ahnung, wie es dann weitergehen sollte. Ich seufzte, klemmte den Benzinschlauch ab und kletterte zum Behälter hinauf, um das Ventil zu schließen. Dass wir früher oder später kein Benzin mehr haben würden, war nur ein Problem von vielen.
    Das war aber erst der Anfang. Wir hatten an diesem Abend noch viel zu tun. Zunächst fuhren wir zu einem einsamen Grundstück inmitten der Hügel. Die Farm war klein und gehörte einer Familie namens King, die ich ganz vergessen hatte. Ich war ihnen ein einziges Mal auf dem Postamt begegnet. Er hatte einen Teilzeitjob als Sozialarbeiter im Krankenhaus und sie unterrichtete zweimal die Woche Musik an der Volksschule. Eigentlich hatten sie vorgehabt sich eines Tages mit ihrer Farm selbst zu versorgen. Sie hatten sich auf einem Stück Land, das sie Mr Rowntree abgekauft hatten – schlechtes Land und zum Höchstpreis, hatte Dad damals gesagt, der meinte, dass sie einem Betrug aufgesessen seien –, ein kleines Haus aus Lehmziegeln gebaut. Die Farm, die ohne elektrischen Strom und ohne Telefonanschluss war, lag am Ende einer unasphaltierten Straße; dort lebten sie mit ihren beiden schmuddeligen und scheuen Kindern und versuchten mit einer Handvoll Rindern, Schweinen, Hühnern, Enten und scheckigen Schafen über die Runden zu kommen.
    Der Anblick war wie überall deprimierend. Zu Bruch gehende Gebäude und Zäune, zahllose Kadaver, eine Koppel voller hungriger Schafe, die alles Essbare abgeweidet hatten und abgezehrt und klapprig aussahen. Das Einzige, das wir für sie tun konnten, war, das Gatter zu öffnen und sie freizulassen. Ich hoffte, man würde den Arbeitstrupps erlauben die Herden zu füttern und auf andere Weiden zu treiben. Viele der Tiere müssten von Hand

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