Ein endloser Albtraum (German Edition)
gefüttert werden, wenn sie den Winter überleben sollten, und an manchen Orten hätte bereits damit begonnen werden müssen, wenn das Vieh in einem guten Zustand bleiben sollte.
Kurz war mir der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass die Kings vielleicht noch da waren und sich auf ihrer Farm versteckt hielten, aber sie waren nirgends zu sehen. Ich glaube, Ms King wollte anlässlich der Messe mit mehreren ihrer Schüler ein Violinkonzert geben; sie dürften also auch in die Stadt gefahren und erwischt worden sein. Das Haus und der neue Wellblechschuppen dahinter stellten sich jedoch als Volltreffer heraus. Wir entdeckten ganze Säcke mit Kartoffeln und Mehl, Gläser mit Eingemachtem und einen Karton mit Pfirsichkompott in der Dose, wahrscheinlich im Sonderangebot gekauft, weil die Dosen Dellen hatten. Außerdem fanden wir Hühnerfutter, Tee und Kaffee und ein Dutzend Flaschen selbst gebrautes Bier, die Chris im Nu in den Wagen brachte. Schließlich noch Reis, Zucker, Haferflocken, Speiseöl, hausgemachte Marmeladen, Chutney. Leider keine Schokolade.
Als wir alles im Wagen verstaut hatten, rafften wir sämtliche Säcke zusammen, die wir finden konnten, und machten uns im Obstgarten an die Arbeit. Die Bäume waren noch jung, aber trotz der Oppossums und Papageien immer noch reich an Früchten. Mein ganzes Leben werde ich den ersten saftigen Bissen von einem der reifen und harten Jonathan-Äpfel nicht vergessen. Mir schien, als hätte ich nie zuvor etwas so Weißes und Reines gesehen und noch nie etwas so Köstliches gegessen. Wir hatten erst vor ein paar Tagen die Äpfel auf Corries Grundstück gegessen, aber diese hier waren anders. Die Äpfel waren natürlich dieselben; ich hatte mich verändert. Ich verlangte nach Absolution und das Seltsame war, dass ich sie durch den Apfel erhielt. Ich weiß, dass jemand, der seine Unschuld verloren hat, nie wieder derselbe sein wird, aber als ich das makellose Weiß des Apfels sah, erkannte ich, dass nicht alles auf dieser Welt verdorben und korrupt war; dass manche Dinge trotz allem rein blieben. Der süße Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, der köstliche Saft rann mir über das Kinn.
Wir räumten die Bäume ab. Jonathans, Granny Smiths, Fujies, Birnen und Quitten. Ich aß fünf Äpfel und bekam auch diesmal Bauchkrämpfe, aber nachdem ich an diesem kühlen und frischen Abend diesen einen Apfel gepflückt und gegessen hatte, fühlte ich mich besser, so als wäre ich wieder mehr am Leben.
Unsere letzte Beute war einem Impuls zu verdanken. Wir saßen wieder im Landrover, rumpelten langsam die Straße entlang, alle sehr schweigsam. Da wir unter einer Baumallee waren, fuhr ich mit eingeschalteten Standlichtern. In der Nacht ohne Licht zu fahren ist wie ein Albtraum. Von allen Dingen, die uns seit der Invasion zugemutet wurden, gehörte das zum Schlimmsten. Als fahre man im Nichts, inmitten eines schwarzen Lochs. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran gewöhnen, auch wenn ich es noch so oft tat.
In dem schwachen Licht sah ich plötzlich zwei Augenpaare, die uns neugierig anstarrten. Damals waren die meisten Nutztiere bereits ziemlich verwildert und suchten das Weite, sobald sie uns erblickten, aber diese beiden Kleinen liefen nicht weg. Sie hätten es besser tun sollen. Es waren zwei Lämmer, vielleicht sechs Monate alt, schwarze Wolle und wahrscheinlich Zwillinge. Ihre Mutter musste gestorben sein, aber erst zu einem Zeitpunkt, als sie alt genug und entwöhnt waren. Sie waren in einem guten Zustand.
»Lammbraten«, sagte ich und stieg auf die Bremse. Es war bloß ein Impuls, doch dann dachte ich, warum nicht? Ich hielt den Wagen an und drehte mich zu den anderen um: »Habt ihr Lust auf Lammfleisch?« Sie schienen zu müde, um zu denken, geschweige denn zu antworten. Homer war der Einzige, der reagierte. Auf einmal zeigte er mehr Elan als in den letzten vierundzwanzig Stunden. Er stieg auf der einen Seite aus, ich auf der anderen. Die Lämmer, diese Schafsköpfe, blieben einfach stehen. Nun regten sich auch Lee und Robyn, nachdem sie Zeit gehabt hatten, über die Aussicht auf eine kräftige Mahlzeit nachzudenken. Keiner von uns ist Vegetarier – in unserem Teil der Welt gilt das als Kapitalverbrechen. Wir fingen die Lämmer ein, legten sie auf den Rücken und banden ihre Beine mit einem Stück Schnur zusammen. Dann machten wir im Laderaum des Wagens Platz für sie.
»Sie fressen doch hoffentlich nicht die Kartoffeln?«, fragte Fi besorgt, während sie
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