Ein endloser Albtraum (German Edition)
Auf einmal spürte ich eine solche Energie in mir, dass ich in der Lage gewesen wäre, tausend Bäume zu pflanzen, tausend Jungs zu küssen, tausend Häuser zu bauen. Stattdessen watete ich mit Höchstgeschwindigkeit durch den Bach zurück, rannte im Zickzack über die Lichtung, joggte den Pfad zu den Satansstufen hinauf und sah dem Sonnenuntergang zu.
Nach Einbruch der Dunkelheit und als die Fliegen schlafen gegangen waren, schlachteten Homer und ich eines der Lämmer. Ich drückte es mit dem Knie auf den Boden, während er ihm die Kehle durchschnitt; dann verriss ich seinen Kopf nach hinten, um ihm das Genick zu brechen und das Blut, das Leben, ausrinnen zu lassen. Wir häuteten es gemeinsam, wobei Homer für den Bauch und das Bruststück seine große Faust verwendete. Ich hatte mich ein wenig davor gefürchtet, denn ich wusste nicht, ob ich damit fertig werden würde, ob nicht mit einem Schlag die schrecklichen Erinnerungen an den Hinterhalt wieder da wären. Aber das geschah nicht. Vielleicht hatte das Gespräch mit Lee meinen grauenhaften Schatten davongejagt, ich weiß es nicht, aber sobald ich das Lamm anfasste, tat ich automatisch, was ich in den alten Zeiten gelernt hatte. Wir hatten immer selbst geschlachtet; man stumpft nie ab, wenn man ein Tier tötet; wenn man zum Beispiel das warme Herz herausnimmt, das sich anfühlt, als wäre noch Leben in ihm, ist das ein ungeheures Erlebnis, ganz egal wie oft man es schon getan hat. Nun, für mich ist es so. Man macht das nicht wie ein Roboter oder als schälte man Kartoffeln. Zu meiner Erleichterung lief alles so wie früher – und das war wirklich eine Erleichterung.
Wir trennten den Kopf ab und warfen ihn in ein Erdloch, das Fi für die Reste gegraben hatte. Hirn ist ohnehin nicht mein Fall und an diesem besonderen Abend brachte ich es nicht über mich, den Kopf zu häuten oder die Zunge herauszuschneiden. Als Nächstes spannten wir den Kadaver auf einen Ast, um ihn auszunehmen. Die anderen hatten uns mit ihrem Wunsch nach einem Barbecue dermaßen unter Druck gesetzt, dass wir ihn sofort in Stücke schnitten, obwohl es besser ist, ihn zunächst auskühlen zu lassen. Wir hackten die ersten Koteletts ab und legten sie auf den Grill auf der Feuerstelle. Es dauerte bis Mitternacht, bis unsere hungrigen Mäuler in das heiße rosa Fleisch beißen konnten, aber das Warten hatte sich gelohnt. Wir schlugen uns die Bäuche voll und grinsten uns gegenseitig an, während wir mit verrußten, fettigen Fingern das Fleisch von den Knochen rissen. Der Tod kann auch die Geburt von etwas anderem sein. Ich spürte, wie in mir eine neue Entschlossenheit entstand, eine neue Sicherheit und ein neues Vertrauen.
Siebentes Kapitel
Zugegeben, was danach geschah, war meine Idee. Der schwarze Peter gehörte schon Ellie. Darauf gebracht hatte mich meine Rastlosigkeit, dieses Gefühl, dass wir nicht genug unternahmen, nicht dafür sorgten, dass etwas geschah. Die Überlegung, dass es auf der anderen Seite einen Weg aus der Hölle geben und man, um dorthin zu gelangen, nur dem Bach folgen müsste, war nicht neu. Irgendwohin musste er ja fließen, und bergauf sicher nicht. Im nächsten Tal lagen der Holloway River und Risdon. Ob der Weg für Menschen passierbar war, wussten wir nicht, aber ich fand, wir sollten es wenigstens versuchen. Ich sehnte mich nach einer anderen Gegend, einer anderen Landschaft und möglicherweise nach anderen Menschen. Es war wie der Wunsch nach Urlaub. Trotz der Meldungen im Radio und obwohl uns unser Hausverstand etwas anderes sagte, bestand eine vage Chance, dass dort alles anders war, dass wir die Berge und die hässliche und verzweifelte Wirklichkeit Wirrawees zurücklassen und ein neues und grünes Land vorfinden würden, ein friedliches Land. Den anderen erzählte ich nichts von meinem Traum. Ich sagte bloß, dass wir eine Rückzugslinie finden sollten und dass es wichtig wäre, herauszufinden, was im Holloway Valley los war. Immerhin ist Wissen Macht.
Sie bissen sofort an. Es brauchte nicht viel, um sie zu überreden. Homer hatte bereits mehrmals vorgeschlagen, wir sollten andere Leute suchen, uns anderen Gruppen anschließen, und vielleicht bot sich in Risdon eine Gelegenheit dazu. Davon abgesehen wollten wir alle etwas Neues ausprobieren. Es gab uns zumindest das Gefühl, etwas Konstruktives zu tun. Chris wollte als Einziger nicht mitkommen. Dass einer von uns zurückblieb und die Hühner und das zweite Lamm versorgte, schien zwar vernünftig, aber ich
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