Ein endloser Albtraum (German Edition)
machte.
»Du willst es doch auch.«
»Manchmal«, gestand ich und wurde ein wenig rot dabei.
»Darum dreht sich doch dieses ganze Gespräch, nicht wahr?«
»Kann sein«, seufzte ich und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Lee«, ich drehte mich plötzlich zu ihm um und zog ihn an seinem Hemd ganz nah an mich heran, »manchmal möchte ich es so sehr, dass meine Haut davon anschwillt.«
»Glaubst du, dass Homer und Fi es getan haben?«
»Nein. Fi hätte es mir erzählt.«
»Mädchen sind in dieser Hinsicht komisch. Sie erzählen sich alle diese Dinge.«
»Und die Jungs vielleicht nicht? Das glaubst du doch selber nicht.«
»Nach allem, was du über die beiden geschrieben hast, erzählt sie dir vielleicht nicht mehr alles.«
»Nach allem, was ich über sie geschrieben habe, haben sie sich kaum noch angefasst.«
»Stimmt, sie sind ein bisschen komisch geworden. He, Sekunde. Wirst du über diese Unterhaltung schreiben?«
»Wenn ich es tue, werde ich es niemandem zeigen.«
»Lieber nicht.« Er nahm meine Hand und streichelte ihren Rücken. »Also, worum geht's, Ellie? Was ist los? Warum führen wir dieses Gespräch?«
»Keine Ahnung. Ich drehe langsam durch vor Sorge und weil mir so viele Dinge gleichzeitig durch den Kopf gehen. Manchmal denke ich, wir sind vielleicht nur zusammen, weil sonst niemand zur Auswahl steht. Wenn wir in der Schule wären und wenn es nie zu dieser Invasion gekommen wäre, wären wir vielleicht nicht einmal befreundet. Sind wir füreinander bestimmt oder nicht? Vielleicht ist es nur so eine Sommerromanze wie in einem amerikanischen Film, und wenn es nur das ist, wäre es irgendwie unecht.«
Lee wollte etwas erwidern, aber ich fiel ihm ins Wort: »Ich weiß, was du sagen möchtest. Ich denke zu viel nach. Ich gebe es ja zu. Wahrscheinlich weiche ich der eigentlichen Frage bloß aus. Und sie lautet, na ja, mehr oder weniger das, was du gesagt hast. Wir sind seit einiger Zeit zusammen und es läuft ganz gut. Und etwas in mir drinnen will noch weiter gehen und ich meine nicht nur körperlich, obwohl das sicher auch.« Während ich sprach, bekam ich zum ersten Mal eine leise Ahnung, was es sein könnte. »Ich glaube, es hat damit zu tun, was mit uns geschehen ist. Mit der Invasion und diesem Ort hier und damit, dass wir rausgehen und Dinge in die Luft jagen und Menschen töten. Ich frage mich, ob unser ganzes Leben so aussehen wird. Ob wir hierbleiben werden, unserem Schicksal überlassen, und alle paar Wochen rausgehen und noch ein paar Soldaten umbringen? Wenn das alles ist, was das Leben in den nächsten fünfzig Jahren zu bieten hat, dann verzichte ich. Ich will vorwärtskommen, ganz egal was sonst noch rund um uns passiert. Seit wir hier sind, sind wir keinen Schritt vorwärtsgegangen. Außer ein paar schäbigen Hühnerställen haben wir nichts gebaut. Wir haben nichts gelernt. Wir haben nichts Positives getan.«
»Ich würde sagen, wir haben sogar eine ganze Menge gelernt.«
»Ja, über uns selbst. Aber das meine ich nicht. Ich spreche von Dingen, die eigentlich nutzlos sind, die um ihrer selbst willen bestehen und deshalb schön sind. Verstehst du? Ich meine Dinge wie die Namen der Sternkonstellationen und der Formen, die sie am Himmel bilden. Oder die Art, wie Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle gemalt hat: Er lag auf dem Rücken und die Farbe ist ihm in die Augen getropft. Oder meinetwegen die Fibonacci-Folge oder die japanische Teezeremonie oder das französische Wort für Eisenbahn. Das sind die Dinge, die ich meine. Verstehst du denn nicht?«
»Ich denke schon. Du meinst, wenn wir diese Dinge verlieren, sind wir geschlagen, egal was sonst geschieht, egal welche militärischen Siege wir erzielen.«
»Genau. Du verstehst ja doch! Wir müssen Dinge tun, die bejahen, nicht nur solche, die verneinen. Als wir diese Samen säten, war das etwas Gutes. Aber wir hätten auch Blumen pflanzen sollen. Der Einsiedler hat das verstanden. Deshalb hat er die Rosen gepflanzt, und als er die Brücke baute, hat er sich nicht mit ein paar Planken zufriedengegeben. Nein, er hat sie wie ein Kunstwerk gebaut, damit sie auch in hundert Jahren noch da ist. Wir müssen etwas schaffen und langfristig denken. Etwas zurücklassen für andere. Das Leben ist stärker. Ja, genau!«
Ich sprang auf, vollführte einen Tanz durch die dunkle kleine Hütte des Einsiedlers und kehrte mit einer Handvoll Rosenblüten zurück, die ich auf Lees Gesicht flattern ließ. Aber das war noch lange nicht genug.
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