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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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dass es auch noch andere menschliche Wesen gegeben hat. Manchmal trieb mich die obskure Idee hierher, dass ich nur hier und nirgends sonst die Antworten finden würde, nach denen ich suchte. Der Einsiedler war hier eine Ewigkeit ganz alleine gewesen. Dabei hatte ihn nichts abgelenkt, kein Lärm, keine Außenwelt – er muss also Zeit zum Nachdenken gehabt haben und diese Art von Nachdenken muss doch auch etwas wert gewesen sein. Oder war ich bloß naiv?
    Langsam und mit Lees gelegentlicher Hilfe hatte ich begonnen die Hütte wieder bewohnbar zu machen. Die blitzblanke Sauberkeit des typischen Vorstadtheims aus der Fernsehwerbung würde sie nie erreichen, aber die linke Seite sah schon ganz passabel aus, außerdem hatten wir das Gestrüpp entfernt und die Hütte teilweise freigelegt. Hausarbeit war noch nie mein Fall gewesen, aber das, was wir hier geschafft hatten, machte mich doch ein wenig stolz.
    An diesem Tag, so kurz nach unserem Angriff auf den Konvoi, hatte ich keine Lust auf Saubermachen. Ich saß auf dem Boden der Veranda, Lee hatte die Arme um mich geschlungen und ich lehnte an seinem warmen Oberkörper und ließ zu, dass seine schmalen Musikerhände taten, wonach ihnen der Sinn stand. Insgeheim hoffte ich, wenn er mich nur fest genug hielt und zärtlich streichelte, würde er mir vielleicht den Beweis liefern, dass wir noch am Leben waren. Und auf diese Weise vielleicht auch meinen Schatten fortjagen. Es war ein kalter, grauer Tag; mein Inneres war genauso kalt und grau wie meine Umgebung.
    Über den Angriff auf den Konvoi hatten wir bisher nicht wirklich gesprochen; ich meine, keiner von uns, nicht nur Lee und ich nicht. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise gab es nichts, was wir nicht lebhaft und ausführlich besprachen. Vielleicht war dieser Angriff einfach eine Nummer zu groß gewesen. Nicht so sehr die Tatsache, dass wir die Lastwagen in die Luft gejagt hatten; zugegeben, das war groß gewesen, aber es glich dem Angriff auf die Brücke – es war dramatisch, beängstigend und aufregend. Worüber wir offenbar nur schwer sprechen konnten, waren die persönlichen Dinge, die uns unmittelbar angingen. Homer, der nichts von der Schrotflinte sagt, Homer, der auf die Soldaten schießt, ich, die den verwundeten Soldaten erschießt. Ich konnte nicht darüber reden, dafür war es viel zu persönlich und zu intim. Es wäre dasselbe gewesen, hätte man mich aufgefordert über mein eigenes Blut zu sprechen.
    An diesem Tag sprachen wenigstens Lee und ich über wirkliche Dinge, Dinge, die zählten.
    »Geht es dir halbwegs seit der Schießerei?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mehr, wie es mir geht.«
    »Aber du fühlst doch etwas?« Seine Hände waren unter meinem T-Shirt und streichelten meinen Bauch.
    Ich lächelte. »O ja. Ein oder zwei Gefühle sind mir geblieben. Bloß keine guten.«
    Eine Weile sagte er gar nichts. Dann fragte er: »Was fühlst du denn?«
    »Angst. Wut. Trauer. Wie wär's damit für den Anfang?«
    »Überhaupt nichts Gutes?«
    »Nicht wirklich.«
    »Nichts?«
    »Ich weiß schon, was du hören willst. Liebe, für dich zum Beispiel, und all das Zeug.«
    »Nein, das wollte ich nicht hören.« Er klang verletzt. »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich mache mir bloß Sorgen um dich.«
    »Tut mir leid. Ehrlich. Irgendwie habe ich aufgehört wie ein normaler Mensch zu denken. Alles ist anders, verzerrt. Findest du es nicht auch unglaublich, dass die anderen Länder nichts für uns tun?«
    »Wenn ich mich nicht täusche, haben wir auch nichts getan, als andere Länder in Übersee überfallen wurden.«
    »Ich dachte immer, unser Fall ist anders. Dass uns die ganze Welt geliebt hat.«
    »Gemocht haben sie uns, das schon, mehr aber auch nicht. Zwischen Lieben und Mögen ist ein großer Unterschied.«
    »Hmmm. Das musst du mir erklären. Wie ist das denn für dich, dieses Mögen oder Lieben? Magst du oder liebst du mich?«, fragte ich leichtfertig, wartete dann aber nervös auf seine Antwort.
    »Das ist keine leichte Frage.« Er umkreiste mit seinem Mittelfinger meinen Nabel, dann schob er seine Hand weiter hinauf. An den Stellen, wo er mich berührte, erwachte meine Haut zum Leben, aber überall sonst blieb ich kalt. Schließlich sagte er ganz langsam: »Ich mag dich mit all deinen Fehlern, Ellie, und das ist, glaube ich, Liebe.«
    Zuerst wurde ich sauer, denn mir fielen sofort Lees Fehler ein – sein launisches Schweigen, seine Ausbrüche, sein Wunsch nach Rache. Ich

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