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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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Ich fand es erstaunlich, dass die Frauen geschminkt waren. Zuerst Ms Hauff und jetzt sie. Es war lange her, seit ich Make-up gesehen oder auch nur daran gedacht hatte. Dieser Ort war ein Kosmetiksalon.
    Ich kroch aus dem Zelt und ließ sie in ihrer Schlafwelt zurück. Draußen hüpfte ich zu einem kalten, feuchten Baumstamm, wo ich mir meine Schuhe fertig anzog. Das war jedes Mal ein Kampf und dauerte eine Weile, aber wenn ich sie endlich anhatte, waren sie bequem. Nachdem ich sie geschnürt hatte, spazierte ich durch das Lager, an dem Gestrüppzaun vorbei und die Zeltreihen entlang. Ich konnte Major Harveys Zelt sehen, und da ich durch die Bäume immer wieder einen Blick davon auffing, bemerkte ich irgendwann, dass er bereits an seinem Tisch saß, in Uniform war und den Kopf über einen Stoß Papier gebeugt hatte. Er schrieb. Mich sah er nicht. Ich steuerte auf eine Stelle zu, wo sich der dichte Wald etwas aufzuhellen schien. Ich war neugierig, was hinter dem Busch lag, und hoffte, noch einmal das Holloway Valley zu sehen. Ich ging ungefähr hundert Meter weit und angelockt von dem Lichtschein rechnete ich damit, dass das Dickicht jeden Moment aufbrechen und die offene weite Landschaft freigeben würde. Aber das geschah nicht, der Wald setzte sich fort, so dicht wie eh und je. Nach zehn Minuten gab ich es auf und blickte mich um. Manchmal wirkt der Busch wie ein Ozean, der nach allen Richtungen hin immer gleich bleibt. Wenn ich einen besseren Geruchssinn hätte, könnte ich vielleicht mehr Unterschiede wahrnehmen: den erdigen Geruch des nassen Bodens; den modrigen Geruch des Dunstes; den sanften Duft der Eukalyptusblätter, der, wie ich wusste, von Baum zu Baum, von Ort zu Ort anders ist. Ich hatte mir jedoch nie die Zeit genommen noch die Geduld gehabt, diese Gerüche richtig zu erforschen. Neugierig geworden, ging ich zu Boden und beschnüffelte auf allen vieren einen feuchten Laubhaufen. Ich fühlte mich wie ein Wombat und fragte mich, ob ich mich in einen verwandeln könnte. Ich hastete ein paar Meter weit über den Hang und versuchte den rhythmischen Trott der Wombats nachzuahmen. Dann vergrub ich meine Schnauze in einen anderen Haufen brauner und schwarzer nasser Blätter.
    Hinter mir erklang ein Räuspern, das unverwechselbar menschlich klang.
    Es war Lee.
    Also gut, ich kam mir wirklich blöd vor, aber ich bin sicher, andere würden solche Dinge auch tun, wenn sie allein sind. Wahrscheinlich machen sie keine Wombats nach. Wahrscheinlich beschnüffeln sie auch keine Laubhaufen. Also gut, wahrscheinlich machen sie nichts in dieser Art.
    Wir setzten uns auf einen Baumstamm und er legte seinen starken sehnigen Arm um mich.
    »Wonach hast du denn gesucht?«, fragte er mit äußerster Selbstbeherrschung.
    »Oh, das Übliche. Wurzeln, Schösslinge und Blätter. Hast du mich gesucht?«
    »Nein, du bist ein Bonus. Ich wollte ein wenig allein sein, nachdenken. Tut gut, so früh am Morgen, nicht wahr?«
    »Mmm. Man muss sich nur überwinden und aufstehen.«
    Wir sahen zu, wie es heller wurde, das Licht an Schärfe gewann und die Feuchtigkeit der zunehmenden Wärme wich.
    »Wie findest du die Leute hier?«, fragte ich.
    »Hmm? Manche sind ziemlich komisch. Gestern Abend haben sie mich zwei Stunden lang mit ihren Heldentaten unterhalten. Anscheinend war die spannendste Aktion, einen Lastwagen anzuzünden, der den Geist aufgegeben hatte. Sie haben beobachtet, wie ihn die Soldaten stehen ließen und in einem Kombiwagen abfuhren. Ich würde sagen, auf einer Skala von null bis hundert lag der Gefahrenpegel bei ungefähr zwei.«
    »Hast du ihnen erzählt, was wir getan haben?«
    »Nein. Sie wollten nur über sich reden, also hörte ich bloß zu und sagte nichts. Homer war gescheiter; er ging schlafen. Ich weiß nicht, warum ich aufgeblieben bin. Wahrscheinlich weil mir sogar zum Schlafengehen die Energie fehlte.«
    »Die Frauen sind geschminkt.«
    »Ja, ist mir aufgefallen.«
    »Ich nehme an, auf dieser Seite der Berge ist es anders als in Wirrawee. Nicht so streng kontrolliert. Dieser Major Harvey hat ja selbst gesagt: Militärisch ist die Gegend nicht so wichtig. Deshalb müssen Harveys Heroes auch keine Helden sein.«
    »Harveys Heroes! Das ist doch ein total nichtssagender Name.«
    »Stimmt.«
    »Wer sind dann wir? Homers Heroes?«
    Eine Stunde später kehrten wir in das Lager zurück und stellten fest, dass wir in Schwierigkeiten waren. Meine Zeltkameradin marschierte uns entgegen, sobald sie uns aus dem Wald kommen sah.

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