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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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Lee beachtete sie nicht, sie sah nur mich an.
    »Wo warst du?«, wollte sie wissen. »Und was macht der da?«
    »Der da? Du meinst Lee?«
    »Pass mal auf. Damit du Bescheid weißt. Du verlässt nicht ohne Erlaubnis das eingezäunte Areal. Du gehst nicht in das Lager der Männer. Der einzige Ort, wo du die Männer treffen kannst, ist am Lagerfeuer und im Koch- und Essbereich. Es gibt eine Menge zu tun und von dir wird erwartet, dass du hilfst.«
    »Tut mir leid«, sagte ich kurz angebunden. »Davon wusste ich nichts.«
    Mir war klar, dass ich mich wie ein Waschlappen verhielt, aber ich hatte nicht die Kraft, ihr meine Meinung zu sagen. Von meinem Kampfgeist war nichts mehr da. Er hatte mich in dem Moment verlassen, als wir den Erwachsenen begegneten. Auf einmal war ich wieder acht Jahre alt. Eigentlich kein Wunder. In letzter Zeit waren wir gezwungen gewesen ständig mehr aus uns herauszuholen, als in uns steckte. Jetzt konnte ich endlich meinen Motor abschalten. Mein einziger Wunsch war, ein Versteck zu finden und dortzubleiben. Das erklärt auch, warum ich diesen Leuten gegenüber nicht aufsässig wurde und mich auf Kompromisse einließ: Ich wollte hierbleiben. Ich wollte keine Probleme mit ihnen. Ich zwinkerte Lee zu und folgte der jungen Frau in den Kochbereich, wo sie mir ein Geschirrtuch hinwarf. Das Frühstück hatte ich anscheinend versäumt, beim Anblick der Essensreste, die im fettigen grauen Spülwasser schwammen, wurde mir übel. Aber ich trocknete alles ab, beschwerte mich auch nicht und hängte die Geschirrtücher auf einer Leine hinter dem Zelt zum Trocknen auf. Dann machte ich mich auf die Suche nach den anderen.

Neuntes Kapitel
    Zwei Tage später berief Major Harvey eine Versammlung ein. Ich saß in den hinteren Reihen. Zwischen mir und Fi saßen Sharyn und Davina, die beiden Frauen, mit denen wir unsere Zelte teilten. Robyn saß zwei Reihen vor mir und die Jungs waren ganz vorne. Die Männer hielten sich bei den Versammlungen im vorderen Bereich auf, die Frauen im hinteren. Major Harvey stand auf einem Baumstamm, Captain Killen zu seiner Rechten und Ms Hauff zu seiner Linken.
    Während dieser zwei Tage hatten wir kaum Gelegenheit gehabt, miteinander zu sprechen, und wenn, waren die Gespräche kurz und unnatürlich gewesen. Man gab uns das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, wenn wir miteinander sprachen. Sharyn schien ständig in meiner Nähe zu sein und mich nicht aus den Augen zu lassen. Ich bekam langsam das Gefühl, ein Fallschirmspringer zu sein, und sie war mein Fallschirm. Einerseits machte mich das rasend, andererseits wirkte es wie eine Droge. Ich fing an abhängig von ihr zu werden, benötigte bei jeder noch so kleinen Entscheidung ihren Rat: »Sharyn, meinst du, ich soll im Zelt mit dem Kopf in der entgegengesetzten Richtung schlafen?« – »Soll ich meine Jeans waschen?« – »Sharyn, gehören diese Kartoffeln in das blaue Geschirr?«
    Sharyn war kräftig gebaut und trug ausschließlich schwarze, viel zu enge Jeans. Wie viele der anderen Frauen war auch sie stark geschminkt. Sie wollte mich überreden mich auch zu schminken, aber das kam nicht in Frage. Das schien so unnatürlich in dieser Umgebung, völlig fehl am Platz.
    Die einzige Entscheidung, die Homer und ich nach einer hastigen Besprechung mit den anderen am zweiten Abend trafen, war, dass zwei von uns am nächsten Morgen zurückkehren und Chris holen würden. Kurz darauf sah ich zufällig, wie Major Harvey zwischen den Bäumen zu seinem Zelt ging. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, ihm unsere Entscheidung mitzuteilen, und schnitt ihm den Weg ab.
    »Entschuldigung, Major Harvey, aber könnte ich Sie kurz sprechen?«
    »Wenn mich nicht alles täuscht, tust du das bereits.«
    »Wie bitte?«
    »Du sprichst mit mir, also schließe ich daraus, dass sich diese Frage erübrigt.«
    »Könnte ich Sie trotzdem kurz sprechen, bitte?«
    »Sprich.«
    »Na ja, es ist so: Wir haben noch einen Freund, er heißt Chris. Wir haben ihn bei unserem Lagerplatz zurückgelassen, deshalb dachten Homer und ich, wir würden morgen früh losgehen und ihn holen. Das sollte nicht zu lange dauern. Bis zum Nachmittag wären wir wieder hier.«
    Es folgte langes Schweigen. Plötzlich schien es viel dunkler geworden zu sein. Ich konnte die Gesichtszüge des Majors kaum noch erkennen; seine Augen waren zu kleinen schwarzen Höhlen geworden.
    Endlich sprach er, aber er sagte bloß: »Komm mit«, machte im selben Moment kehrt und ging rasch davon. Ich folgte ihm bis

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