Ein endloser Albtraum (German Edition)
zu seinem Zelt, dann stand ich vor seinem Schreibtisch und wartete, bis er saß und eine Kerze angezündet hatte. Er forderte mich nicht auf, mich ebenfalls hinzusetzen. Das Flackern der Kerze ließ die Schatten auf seinem Gesicht tanzen.
Ab und zu, wenn er den Kopf ein wenig bewegte, leuchtete ein Glitzern in seinen Augen auf, aber im Grunde bewegte er sich kaum.
Er sprach erst, als sich die Flamme der Kerze beruhigt hatte und gleichmäßig brannte.
»Was habe ich dir und deinen Freunden vor vierundzwanzig Stunden gesagt, hier an dieser Stelle?«
»Äh, nun, Sie sagten, dass die Lage hier nicht so dramatisch ist wie in Wirrawee und, äh, dass Sie ein paar Kraftwerke gesprengt haben und dass hier alles wie beim Militär abläuft, dass das hier«, plötzlich wurde mir klar, warum der Major so wütend war, »ein Militärbetrieb ist.«
»Sehr richtig. Ein Militärbetrieb. Und was heißt das in der Praxis?«
»Dass wir Befehlen gehorchen müssen und so.«
»Sehr richtig.« Seine Stimme wurde lauter. »Weißt du, was mit diesem Land nicht stimmt? Weißt du, warum wir besetzt wurden?«
Jetzt rührte er sich. Sein Kopf schoss vor wie der einer Schlange, die ein bedrohliches Geräusch gehört hat. »Ich werde dir sagen, was mit diesem Land nicht stimmt. Wir sind bequem geworden, wir sind verweichlicht und ziellos. Wenn du mich fragst, haben uns diese Leute mit der Invasion sogar einen Gefallen getan. Von ihnen können wir eine Menge lernen. Sie sind eine disziplinierte, geordnete Streitkraft, das sind Soldaten mit einer guten Führung. Bei ihnen hörst du niemanden von Konsens reden. Niemand redet von den ›Rechten des Individuums‹ oder von ›persönlicher Freiheit‹. Sie wissen, wo's langgeht. Wenn es uns gelingt, diesem Land ein starkes Rückgrat zu geben, schaffen wir anstelle eines Haufens sich selbst bedauernder Waschlappen eine Nation, auf die wir stolz sein können.« Die Kerzenflamme flackerte auf und für einen Augenblick war die blanke Wut in seinem Gesicht zu sehen. »Ich werde dir sagen, was wir hier wollen. Ich werde dir sagen, was die Menschen hier brauchen.« Er fing an zu schreien, während ich wie gelähmt vor ihm stand. »Sie brauchen eine starke Hand, sie brauchen eine Führung, die sie respektieren. Sie brauchen Führer, zu denen sie aufsehen können. Dieses Land hat schon vor Jahren die falsche Richtung eingeschlagen und es ist an der Zeit, die Dinge wieder geradezurichten.«
›Ja, alles, was Sie sagen‹, dachte ich und machte einen Schritt zurück.
Der Major saß in seinem Stuhl und hob einen Ordner hoch. »Nun«, er schien sich abgeregt zu haben, denn er kehrte zu einem ruhigen und normalen Ton zurück. »Ich bin bereit über euer Ansuchen nachzudenken. Euer Freund, ich nehme an, er verfügt über Nahrungsmittel und Unterschlupf?«
»O ja.«
»Dann besteht also keine besondere Dringlichkeit?«
»Na ja, wir wollten ihn nicht zu lange allein lassen.«
»Daran hättet ihr denken sollen, bevor ihr euch auf den Weg gemacht habt. Leute wie ihr, die immer nur der augenblicklichen Lage nach handeln, müssen eine Menge lernen. Ihr stellt einen schriftlichen Antrag mit Bitte um meine Erlaubnis, einschließlich einer detaillierten Karte, der ungefähren Dauer eures Unternehmens sowie der Mittel und Einsatzkräfte, die ihr benötigt. Das ist alles. Du kannst gehen.«
Meine Beine zitterten leicht, als ich ging. Ich hatte einfach nicht die Kraft, mich ihm zu stellen. Was mich aber weit mehr beunruhigte, war meine Erleichterung darüber, dass er unsere Pläne durchkreuzt hatte. Wir mussten zurückgehen und Chris holen, das war aber auch der einzige Grund, warum ich es tun würde: Wir hatten gar keine andere Wahl. Insgeheim hatte ich keine Lust, die mörderische Strecke noch einmal zurückzulegen, und was Chris anlangte, fehlte mir im Moment auch jede Energie. Das bereitete mir enorme Schuldgefühle, denn ich wusste genau, wie ich mich fühlen würde, wäre ich allein zurückgeblieben. Außerdem war mir klar, wie wichtig es war, dass wir zusammenhielten, und zwar alle sechs. Davon hing eine Menge ab.
Am nächsten Morgen, dem Tag der Versammlung, kam es zu einer weiteren scheußlichen Begegnung mit dem Major. Sharyn hatte mir einen Eimer mit Putzmitteln in die Hand gedrückt und mich in sein Zelt geschickt, um es sauber zu machen. Rückblickend weiß ich, dass das eine Falle war, aber damals ahnte ich noch nichts. Ich war übelster Laune, als ich mich auf den Weg zu seinem Zelt machte, dachte
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