Ein endloser Albtraum (German Edition)
Mal spürte ich nichts davon. Fi, die sich an mich geschmiegt und ihr Gesicht von dem Soldaten abgewendet hatte, half mir warm zu bleiben. Ab und zu lief ein krampfhaftes Zucken durch sie hindurch, das konnte aber auch an der Kälte gelegen haben. Robyn saß neben dem Kopf des Soldaten und beobachtete ihn ruhig. Um ihr Gesicht und in ihrem Blick, der auf dem Jungen ruhte, war etwas Schönes. Homer saß hinter seinem Kopf, auch er schien ruhig, aber auf seinem Gesicht lag ein dunkler Schatten und die Art, wie er sich vorbeugte, hatte etwas Ungeduldiges, wie ein entsichertes Gewehr. Es machte mir Angst, ihn so zu sehen.
In einiger Entfernung war ein Krachen zu hören; es kam durch die Bäume wie der abbrechende Zweig, den ich zuvor gehört hatte. Die Nacht im Busch ist voller Geräusche, das ist ganz normal: Man hört das Jaulen der Opossums, das Heulen eines Wildhundes, den Flügelschlag der Eulen, das Flüstern der Brise in den Wipfeln der Bäume und das ständige Rascheln im Gebüsch, für das es keine Erklärung gibt. Ich war daran gewöhnt und reagierte nicht, bemerkte es eigentlich kaum noch. Das hier war aber anders und ich richtete mich ein wenig auf und wandte den Kopf. Und dann hörten wir den Ruf.
»Ellie! Homer! Seid ihr da?«
In mir tobte ein Sturm der Erleichterung.
»Lee! Hier sind wir!«
Jetzt hörten wir die Schritte, das Stolpern und Krachen durch das Gestrüpp, denn nun hatte er zu rennen begonnen. Ich stand auf und bewegte mich ein paar Schritte in seine Richtung. Dann erschien er zwischen den hohen Bäumen und quetschte sich unmittelbar vor mir durch einen schmalen Durchgang. Er fiel mir in die ausgestreckten Arme und drückte mich fest an sich. Ich konnte aber nur die Knochen seines Körpers spüren, keine Liebe oder Zuneigung und keine Wärme, nur eine hässliche Grobheit und wohl auch Erleichterung. Er schob mich weg und sah sich um. »Hat wer was zu essen? Ich sterbe vor Hunger.«
»Nein«, erwiderte Robyn. »Nichts.«
»Wir müssen hier weg«, sagte Lee. Sein Blick fiel auf den Soldaten auf der Erde, er schien jedoch nicht einmal überrascht. Jetzt konzentrierte er sich auf ihn. »Was macht der da?«
»Er ist Fi gefolgt«, antwortete Homer.
»Er lebt noch«, sagte Lee.
»Ja.«
»Worauf wartet ihr?«
Ich war nicht sicher, was er meinte. »Wir haben auf dich gewartet«, sagte ich. »Außerdem wissen wir nicht, was wir mit ihm tun sollen. Er liegt im Sterben.«
»Wir müssen hier weg«, wiederholte Lee. Seine Augen suchten den Boden ab. Plötzlich bückte er sich und hob das Messer des Soldaten auf, das immer noch auf dem traurigen Haufen seiner Besitztümer lag. Zuerst dachte ich, er hätte das Gleichgewicht verloren und sei auf den Jungen gefallen. Ich schnappte sogar nach Luft und war im Begriff zu sagen: »Pass auf!« Aber dann wurde mir schlagartig klar, dass es Absicht war. Lee war mit den Knien auf dem Oberkörper des Jungen gelandet und hatte im selben Moment im Bereich des Herzens zugestoßen. Der Junge stieß ein Keuchen aus, seine Arme hoben sich leicht und er spreizte die Finger. Homer drehte die Taschenlampe an. In dem scharfen Licht, das wie ein Skalpell durch die Dunkelheit schnitt, sah ich, wie sein Gesicht jede Farbe verlor und aus seinem sich langsam öffnenden Mund Blut kam. Der Mund blieb offen. Dann nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, als würde ihn etwas verlassen, sein Geist, seine Seele, ich weiß es nicht; und dann war er tot. Sein Gesicht bekam die Farbe von Wasser, die keine ist.
Fi hatte geschrien, doch dann schien sie den nächsten Schrei mit aller Kraft zu unterdrücken und sich selbst zum Schweigen zu bringen. Sie hielt die Hand vor den Mund und stieß einen kurzen Schluckauf aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Lee an, als sähe sie ein Monster oder Jack the Ripper. Ich hatte plötzlich auch Angst vor ihm, wusste nicht, ob er sich für immer verändert hatte und ein Teufel geworden war. Robyn atmete ganz flach und hatte beide Hände um ihren Hals gelegt. Homer wich zurück, sein Blick war völlig starr und seine Hände griffen nach hinten, als suche er nach Halt. Ich stand mit offenem Mund da und blickte auf den toten Jungen. Homer hatte die Taschenlampe fallen gelassen; ich bückte mich und hob sie auf.
Lee stand auf, entfernte sich ein paar Schritte und kehrte wieder um. »Wir müssen ihn wegschaffen«, sagte er, wobei die Wut und Härte aus seiner Stimme gewichen waren. Er klang beinahe normal; doch woher sollte ich die Gewissheit
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