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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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nehmen, dass er je wieder normal sein würde?
    »Wir können ihn nicht begraben«, sagte ich mit zitternder Stimme und kurz davor, hysterisch zu werden. »Dafür ist keine Zeit, außerdem fehlen uns die Geräte dazu.«
    »Legen wir ihn in die Wasserrinne«, meinte Lee.
    Keiner von uns rührte sich, bis Lee uns anschrie: »Macht schon, steht nicht bloß rum. Ihr müsst mir helfen.«
    Ich nahm seinen Kopf, der erstaunlich schwer war, und Lee packte ihn bei den Füßen. Von den anderen war keiner in der Verfassung, uns zu helfen. Wir versuchten einen Weg durch das Dickicht zu finden, der breit genug war, und stolperten unter der Last des Körpers. Nach nicht einmal zehn Metern schwitzte ich am ganzen Körper. Dieser schmale Junge war auf einmal unglaublich schwer. Als ich meinte ihn jeden Moment fallen zu lassen, war Robyn neben mir und half.
    »Wir dürfen ihn nicht über den Boden schleifen«, sagte ich. »Sonst sehen sie die Spuren.« Es entsetzte mich, dass ich etwas derart Kaltblütiges sagen konnte, aber die beiden anderen reagierten nicht. Wir humpelten weiter, denn keiner wollte der Erste sein, der »Halt« sagte. Als wir endlich am Anfang der Wasserrinne angekommen waren, holten wir, so weit das ging, mit den Armen aus und ließen ihn los und er rollte schwerfällig ins Wasser.
    »Große Hilfe war er keine«, sagte ich schon wieder zu meinem eigenen Entsetzen, aber ich wollte die Stimmung ein wenig heben, uns ein wenig aus diesem Irrsinn heraushelfen.
    Wir blieben einen Augenblick stehen und sahen ihn an. Sein Körper schien nur noch aus Armen und Beinen zu bestehen, wie eine zu Bruch gegangene Puppe, und sein Kopf war in einem unmöglichen Winkel nach hinten verrenkt. Lee drehte sich wortlos um, verschwand im Dickicht und kehrte mit zwei Ästen zurück, die er hinter sich herzog und nun über den Soldaten warf. Robyn begann ihm zu helfen, ich schließlich auch. Zehn Minuten lang warfen wir Steine und Äste auf den Soldaten. Sie würden nichts gegen den Gestank ausrichten und auch die Wildhunde und die anderen Aasfresser nicht abhalten, aber es bestand die berechtigte Hoffnung, dass eine Suche nach ihm, falls es überhaupt dazu kam, nicht länger als ein oder zwei Tage dauern würde.
    Nach einer Weile waren wir uns stillschweigend einig, dass wir genug getan hatten. Das Grau zwischen den Bäumen wurde rasch heller, im Busch brach der Tag an. Während wir noch dastanden, spürte ich das seltsame Bedürfnis, dass wir nicht weggehen sollten, ohne etwas gesagt zu haben. Ich warf einen Blick auf Robyn, und obwohl ihre Augen offen waren und ihr Mund sich nicht bewegte, war ich überzeugt, dass sie betete. »Sprich laut«, forderte ich sie auf. Sie sah mich überrascht an. Ich forderte sie noch einmal auf: »Sag etwas.«
    »Ich kann nicht.« Sie runzelte einen Moment lang die Stirn, dann sprach sie: »Gott, gib acht auf ihn.« Nach einer kurzen Pause fügte sie mit fester Stimme hinzu: »Amen.«
    »Amen«, wiederholte ich und kurz darauf auch Lee.
    Als wir zu den anderen zurückgingen, wandte er sich an Robyn und sagte: »Wenn du gesehen hättest, was ich gestern Nacht gesehen habe, würdest du für keinen von ihnen beten. Und du würdest dich auch nicht fragen, ob das, was wir getan haben, falsch war. Sie sind Dreck. Bestien.«
    Ich wusste nun, warum er das Messer in die Brust des Soldaten gerammt hatte, das änderte aber nichts an der Angst, die mir seine Tat eingejagt hatte.

Elftes Kapitel
    Oft stellt sich heraus, dass gerade die kleinen Dinge die schwierigsten sind. Wir hatten eine Nacht voller Tod und Grauen, schrecklicher Angst und Panik hinter uns; wir hatten Menschen sterben gesehen, einen davon aus nächster Nähe. Wir hatten fast alles verloren – unsere Sachen waren im Zeltlager der Harveys Heroes geblieben –, aber am Ende war der Versuch, in die Hölle zurückzuklettern, die schwierigste Hürde von allen.
    Zuvor sollte ich aber noch erfahren, dass ich nicht alles verloren hatte. Wir standen am Fuß des Baumes und warteten auf Robyn. Sie hatte die Gegenstände aus den Taschen des Soldaten aufgesammelt und war damit zu seinem Grab im Busch zurückgekehrt. Sie hatte sogar das Messer aufgehoben, das von seinem Blut klebrig und rot war. Als ich Robyn zusah, wie sie nach dem Messer griff, fiel mir mit einem Schaudern der Hinterhalt in der Buttercup Lane wieder ein, als ich Homers blutige Schrotflinte aufgehoben hatte.
    Die Taschenlampe war der einzige Gegenstand, den wir behielten.
    Lee, Fi und ich warteten

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