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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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wussten.
    Homer verließ die Sicherheit des Baumes und kletterte langsam das letzte Stück der Steilwand hoch. Sogar von meiner Position auf dem Boden aus konnte ich die Anspannung in seinen Armen und Beinen sehen, während er den nächsten Halt suchte. Sein Kopf war zur Seite gewandt; er sah aus wie ein gigantisches Insekt, das senkrecht die Wand hinaufkroch. Wir sahen ihm nervös zu, denn wir würden als Nächste an der Reihe sein. Es waren nur ein paar Meter, aber der Preis für einen einzigen falschen Schritt wäre ziemlich hoch gewesen. Doch dann schwang er einen Arm über den Rand und zog sich mit letzter und gewaltiger Anstrengung hinauf, verschwand einen Moment aus unserem Blickfeld und erschien dann wieder, am Rand stehend, den Blick nach unten gewandt und lächelnd.
    »Kinderspiel«, sagte er.
    Robyn kletterte ihm rasch und in einem Anlauf nach, bis auch sie über den Rand der Steilwand rollte. Aber dann war Fi an der Reihe. Sie stand auf dem Sockel des Baums und blickte ängstlich nach oben.
    »Komm schon, Fi«, rief ich von unten.
    Lee begann den Baum hochzuklettern, während Fi noch zaghaft die Arme ausstreckte und nach einem Halt suchte. Homer und Robyn waren wie zwei Stereolautsprecher, die auf sie einredeten. Sie kam nur sehr langsam voran, stützte sich mit den Seiten ihrer Füße statt mit den Zehen ab, blieb schließlich auf halbem Weg stehen und rührte sich nicht mehr. Ich konnte das Zittern in ihren Beinen sehen. »Komm schon, Fi«, riefen wir ihr zu. »Es geht nicht«, weinte sie. »Du musst, Fi«, forderte Robyn sie auf. »Die Soldaten kommen.« Das war nicht wahr, aber es funktionierte. Fi gewann krabbelnd einen zusätzlichen Meter, dann warf sie ihren Arm hoch und erwischte Robyns Hand. Zum Glück erwischte sie sie. Ich mochte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie danebengegriffen hätte. Trotzdem musste Robyn mit aller Kraft ziehen, bevor sie Fi, die wie ein lebloser Sack in der Luft hing, über den Rand gezerrt hatte.
    Fi hatte schon so oft ihren Mut und ihre Stärke bewiesen, aber diese letzten zwölf Stunden hatten sie alles gekostet.
    Lee kam ziemlich problemlos hinauf. Groß zu sein war eindeutig ein Vorteil. Zu dem Zeitpunkt hatte ich den letzten Ast erreicht und behielt ihn im Auge. Ich überlegte mir meine Route, beschloss etwas weiter links als Lee zu klettern, und nachdem ich noch einmal geschluckt hatte, um meine Angst in Schach zu halten, kletterte ich los. Das Wichtigste war, nicht in Panik zu geraten. Jedes Mal wenn meine Gefühle in mir zu toben begannen und mir sagten, ich würde abstürzen, garantiert würde ich abstürzen, befahl ich mir, mutig zu denken, mein Denken zu kontrollieren und stark zu sein. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ich hatte Hunger, mein Knie schmerzte und ich ließ mir mit dem Klettern zu lange Zeit, verbrauchte meine Energie. Ich beschleunigte ein wenig, warf einen Blick nach oben und sah Homers Hand, die sich mir entgegenstreckte und fast schon zum Greifen nahe war.
    »Ich brauche keine Hilfe«, brummte ich.
    Und in dem Moment stürzte ich ab. Es geschah ganz plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Meine Finger verloren alle gleichzeitig den Halt. Ich wusste, dass ich zu sehr seitlich war, um auf dem Baum zu landen, und ich wusste, dass ich zwei Möglichkeiten hatte: Ich konnte mich mit den Händen abbremsen und sie mir dabei aufreißen oder mich fallen lassen und mir beide Beine brechen. Ich setzte meine Hände ein. Da ich die Wand mit dem ganzen Körper berührte, gelang es mir, mich bewusst in sie hineinzudrücken; ich setzte alles ein, meine Knie, meine Zehen, ein paar Mal den Oberkörper und meine Hände, krallte und griff nach dem Felsen, bis ich unten ankam. Ich landete auf dem Boden, ohne ein einziges Mal unkontrolliert zu fallen, aber ich schlug hart auf, verstauchte mir noch einmal das Knie und rollte über den Boden, bis ich gegen einen Felsen prallte. Ich blieb liegen, wütend und hasserfüllt. Meine Finger wagte ich nicht anzusehen. Ich stand auf, klopfte mir den Dreck von den Kleidern und ging zum Baum zurück. Wütend kletterte ich ein zweites Mal hoch, ohne auf das Brennen in meinen Händen, das dumpfe Pochen in meinem Knie und den Schmerz in meinem Rücken zu achten. Über mir erklangen die besorgten Rufe der anderen, die sich über den Rand der Steilwand beugten und Schreie ausstießen wie ein einsamer Kakadu. »Es geht schon«, murmelte ich, obwohl sie mich gar nicht hören konnten. Als ich den Sockel des toten weißen Stamms

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