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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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sie sich weigerten, mir noch mehr zu geben, weil sie sicher waren, dass mir schlecht werden würde. Seltsam.
    Ich war sehr bestürzt, als sie mich nicht den Landrover fahren ließen, weil ich Dad ausdrücklich versprochen hatte, dass ich niemand anderen hinter das Lenkrad lassen würde. Doch ich hatte plötzlich genug vom Streiten, kroch neben Lee in den überfüllten hinteren Teil des Wagens und schlief ein. Homer fuhr zum Tailors Stitch hinauf. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Streit nicht so plötzlich und so gänzlich abgebrochen.
    Irgendwie ging ich spät in der Nacht in die Hölle hinunter, kroch in ein Zelt zu Corrie, die hysterisch vor Freude war, als sie uns sah, und schlief drei Tage lang. Ich wachte nur zu gelegentlichen Mahlzeiten, WC-Wanderungen und kurzen gemurmelten Gesprächen auf. Ich erinnere mich daran, dass ich Chris getröstet habe, der überzeugt davon war, die Ursache meines Nervenzusammenbruchs zu sein. Ich fragte nicht, wie Lee in die Hölle hinuntergekommen war, aber als ich allmählich wieder zu mir kam, erfuhr ich, dass sie eine Tragbahre gebastelt und ihn hinuntergetragen hatten. Robyn und Homer hatten sich am vorderen Ende abgelöst und der zart gebaute Chris hatte das hintere Ende übernommen, den ganzen Weg in der Dunkelheit hinunter.
    Ich nehme an, er hat es wiedergutgemacht.
    Während meiner drei Tage hatte ich die Albträume, die ich an jenem Morgen beim Heuschober nicht gehabt hatte. Dämonische Gestalten liefen schreiend vor mir davon, ich spürte, wie Schädel unter meinen Füßen zermalmt wurden. Brennende Körper streckten die Hände aus und flehten um Gnade. Ich tötete jeden, sogar die Menschen, die ich am meisten liebte. Ich ging unvorsichtig mit Gasflaschen um und verursachte eine Explosion, die das Haus in die Luft jagte – mit meinen Eltern drin. Ich zündete einen Heuschober an, in dem meine Freunde schliefen. Ich überfuhr im Rückwärtsgang einen Cousin und konnte meinen Hund nicht retten, als er in ein Hochwasser geriet. Und obwohl ich überall herumrannte und um Hilfe bettelte, den Leuten zuschrie, sie sollten einen Rettungswagen holen, reagierte niemand. Sie wirkten desinteressiert. Sie waren nicht grausam, nur zu sehr beschäftigt und gleichgültig. Ich war ein Todesteufel und es gab auf der Welt keine Engel mehr, niemanden, der mich besser machen konnte, als ich war, oder der mich vor dem Leid errettete, das ich anrichtete.
    Dann wachte ich auf. Es war früh am Morgen, sehr früh. Es würde ein schöner Tag werden. Ich lag im Schlafsack und sah zum Himmel und zu den Bäumen empor. Warum verfügt unsere Sprache über so wenige Worte für Grün? Jedes Blatt und jeder Baum besaß eine eigene Schattierung von Grün. Ein weiteres Beispiel dafür, wie weit uns die Natur noch immer voraus ist. Etwas flitzte in der Krone eines Baumes von Ast zu Ast – ein kleiner, dunkelrot-schwarzer Vogel mit langen Flügeln, der jeden Streifen Rinde untersuchte. Noch höher oben schwebte ein Paar weißer Kakadus über den Himmel. Dem Geschrei entnahm ich, dass ein ganzer Schwarm außerhalb meines Gesichtsfeldes unterwegs war und dass die beiden Vögel nur die Vorhut waren. Ich setzte mich auf und versuchte den Rest des Schwarms zu entdecken, aber sie waren noch immer außer Sichtweite. Also drückte ich den Schlafsack an mich wie ein Insekt, das erst halb aus der Puppe gekrochen ist, und schlurfte aus dem Zelt. Die Kakadus waren wie heisere Engel über den Himmel verstreut. Sie zogen weiter und waren so viele, dass man sie nicht zählen konnte, aber ich konnte noch immer ihr freundliches Gekrächze hören.
    Ich ließ den Schlafsack fallen und ging zum Bach hinunter. Robyn wusch sich gerade die Haare. »Hallo«, sagte sie.
    »Hi!«
    »Wie geht's dir?«
    »Gut.«
    »Hungrig?«
    »Ja, ein bisschen.«
    »Das wundert mich nicht. Du hast seit dem Nachmittagstee vorgestern nichts gegessen.«
    »Tatsächlich?«
    »Komm mit. Ich mach dir was. Magst du Eier?«
    Ich bekam kalte harte Eier – bei Tag konnten wir kein Feuer machen –, dazu Kekse und Marmelade und eine Schale Müsli mit Trockenmilch. Ich weiß nicht, ob es die Kakadus oder Robyn oder das Müsli waren, aber als ich mit dem Frühstück fertig war, hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht wieder anfangen konnte mit allem fertig zu werden.

Dreizehntes Kapitel
    Eines der kleinen Rituale, das täglich ablief, war Corries Transistor-Testen. Das war eine feierliche Zeremonie, die dann stattfand, wenn Corrie den Drang dazu

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