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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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Zu viel ist passiert.«
    »Ja.« Nur ein Wort, aber ich werde mich immer daran erinnern, wie er es sagte, als wäre er von allem betroffen, was ich gesagt hatte. Ich rollte mich herum, so dass ich ihm noch näher war, und sprach weiter.
    »Und dann denke ich an Corrie und wie schrecklich es für sie sein muss, viel schrecklicher als für mich. Für alle von euch, die kleine Geschwister haben. Das muss entsetzlich sein. Und stell dir vor, was Chris' Eltern empfinden müssen, die jetzt in Übersee sind, wahrscheinlich nicht zurückkommen können und keine Ahnung haben, was aus Chris geworden ist.«
    »Wir wissen nicht, wie weit die ganze Sache reicht. Es könnten eine Menge Staaten hineingezogen werden. Erinnerst du dich an unseren Witz in der Hölle über den Dritten Weltkrieg? Wir haben damit vielleicht genau ins Schwarze getroffen.«
    Er legte mir den Arm um die Schultern und wir lagen da und blickten zu den alten hölzernen Sparren des Heuschobers hinauf.
    »Ich habe von dir geträumt«, sagte ich.
    »Wann?«
    »Heute, an diesem Morgen, in diesem Heuschober.«
    »Wirklich? Was hast du geträumt?«
    »Oh ... dass wir etwas Ähnliches taten wie jetzt.«
    »Wirklich? Ich bin froh, dass es wahr geworden ist.«
    »Ich auch.«
    Das stimmte, aber meine Gefühle für ihn und meine Gefühle für Homer verwirrten mich. Vergangene Nacht hatte ich Homers Hand gehalten und mich dabei so warm und gut gefühlt und jetzt war ich hier bei Lee. Er küsste mich leicht auf die Nase, dann weniger leicht auf den Mund, dann noch mehrere Male leidenschaftlich. Ich erwiderte seine Küsse, aber dann hörte ich auf. Ich hatte nicht vor, die örtliche Schlampe zu werden, und hielt es für keine gute Idee, mich mit zwei Jungen gleichzeitig einzulassen. Ich seufzte und schüttelte seinen Arm ab.
    »Ich sollte nachsehen, wie es Chris geht.«
    Chris ging es nur allzu gut. Er schlief und ich wurde wütend. Ich schrie, kreischte und dann versetzte ich ihm einen kräftigen Fußtritt. Sogar während ich es tat, war ich über mich selbst entsetzt. Sogar jetzt, wenn ich darüber nachdenke, bin ich über mich selbst entsetzt. Was mich am meisten erschreckte, war der Gedanke, dass mich all die gewalttätigen Dinge, die ich mit dem fahrbaren Rasenmäher und dem Lastwagen getan hatte, innerhalb von zwei Nächten vielleicht in ein tobendes Ungeheuer verwandelt hatten. Andererseits war es unverzeihlich, dass Chris eingeschlafen war. Er hatte durch seine Trägheit unser aller Leben in Gefahr gebracht. Ich erinnere mich an unser Überlebenscamp, bei dem jemand beim Mittagessen erzählt hatte, dass beim Militär auf Schlafen beim Wachdienst die Todesstrafe steht. Wir waren alle entsetzt gewesen. Wir sahen die Logik darin, aber vielleicht war das der entsetzliche Teil – dass es so vollkommen logisch war. Kaltblütig, erbarmungslos, logisch. Man erwartet nicht, dass das wirkliche Leben so ist, nicht bis zu diesem Extrem. Aber einen Moment lang hätte ich Chris töten können. Er sah mich jedenfalls entsetzt an, als er sich wegrollte und aufstand.
    »Mein Gott, Ellie, nimm's leicht«, murmelte er.
    »Leichtnehmen?«, schrie ich ihm ins Gesicht. »Ja, genau das hast du getan. Wenn wir es noch einmal leichtnehmen, sind wir tot. Kapierst du nicht, dass sich alles verändert hat, Chris? Kapierst du das nicht? Wenn du es nicht kapierst, kannst du gleich ein Gewehr nehmen und uns alle sofort erledigen. Das ist genau dasselbe, wie wenn du es leichtnimmst.«
    Chris ging mit rotem Gesicht und vor sich hin murmelnd weg. Ich setzte mich hin. Nach ein oder zwei Minuten bekam ich eine Art verzögerten Schock. Ich hatte so lange alle meine emotionalen Reaktionen blockiert, weil ich weder Zeit noch Gelegenheit für so einen Luxus gehabt hatte. Aber es ist so, wie viele sagen: »Verleugnete Gefühle sind aufgeschobene Gefühle.« Ich hatte so viel aufgeschoben und jetzt hatte die Bank den Kredit gekündigt. An den größten Teil dieses Nachmittags habe ich keine Erinnerung. Homer erzählte mir viel später, dass ich stundenlang in Decken gewickelt zitternd in einer Ecke des Heuschobers gesessen und jedem gesagt hatte, er solle vorsichtig sein. Ich habe wahrscheinlich so reagiert wie Corrie, nur auf etwas andere Art. Ich erinnere mich deutlich daran, dass ich jede Nahrung verweigerte, sehr hungrig wurde, aber trotzdem nichts aß, weil ich sicher war, dass ich kotzen würde, wenn ich es tat. Homer erzählte mir, dass ich heißhungrig gewesen war und so viel gegessen hatte, dass

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