Ein endloser Albtraum (German Edition)
zwanzig Stunden, aber wir taten unser Möglichstes. Im Lauf des Vormittags wachte ich einige Male kurz auf, drehte mich um, warf einen Blick auf Lee, der unruhig wirkte, warf der neben mir liegenden Robyn einen Blick zu – sie schlief wie ein Engel – und fiel wieder in meinen schweren Schlaf. Ausnahmsweise erinnere ich mich deutlich an meine Träume. Ich träumte nicht von Schüssen, vom Zusammenprall von Fahrzeugen, von Menschen, die schrien und starben, obwohl ich seither oft genug davon geträumt habe. An diesem Vormittag träumte ich davon, dass Dad zu Hause für einen ganzen Haufen Besucher grillte. Ich sah nicht, was er briet, aber er arbeitete eifrig mit seiner Gabel und stach Würste oder sonst was an. Es sah aus, als wären alle Bewohner der Stadt da und wanderten durch Haus und Garten. Ich grüßte Pater Cronin, der neben dem Grill stand, aber er antwortete nicht. Ich ging in die Küche, aber die war überfüllt. Dann war Corrie da und bat mich mit ihr zu spielen, was in Ordnung war, nur war sie wieder acht Jahre alt. Ich folgte ihr, wir gingen zu einem Fluss hinunter und stiegen in ein Boot. Es stellte sich heraus, dass die meisten Stadtleute hier waren, und Dad und Mum waren die Kapitäne, und sobald Corrie und ich an Bord waren, stießen wir vom Land ab und segelten davon. Ich weiß nicht, wohin wir fuhren, aber es war heiß, alle schwitzten und die Leute zogen sich aus. Ich blickte zum Ufer zurück und dort stand Pater Cronin und winkte zum Abschied – oder schüttelte er zornig seine Fäuste, weil alle sich auszogen? Und ich wusste nicht, ob wir uns auszogen, weil es heiß war oder aus anderen Gründen. Corrie war noch immer da, aber wir waren nicht mehr acht Jahre alt und dann musste sie mit irgendwem irgendwohin gehen und an ihrer Stelle stand Lee da. Er zog sich ebenfalls aus, sehr ernst, als wäre es ein heiliges Ritual. Wir legten uns, immer noch sehr ernst, gemeinsam hin und begannen einander sanft und liebevoll zu berühren. Wir taten es noch immer, als ich schwitzend aufwachte und feststellte, dass ich jetzt voll in der Sonne lag. Der Tag wurde wirklich heiß. Ich drehte mich um und sah nach den anderen und die erste Person, die ich erblickte, war Lee, der mich mit seinen dunklen Augen beobachtete. Nach dem Traum war ich so verlegen, dass ich rot wurde und schnell zu reden begann.
»Die Temperatur ist um zehn Grad gestiegen. Ich werde hier gebraten. Ich muss übersiedeln. Anscheinend habe ich länger geschlafen, als ich dachte.« Ich nahm meine Decke und übersiedelte auf Lees andere Seite, aber in der gleichen Entfernung. Ich plapperte immer noch. »Brauchst du etwas? Kann ich dir etwas bringen? Hast du lang geschlafen? Tut dir dein Bein sehr weh?«
»Mir geht's großartig«, sagte er.
Als ich nicht mehr in der Sonne lag, beruhigte ich mich ein wenig. Von meinem neuen Platz aus sah ich über die Koppeln direkt in den Busch hinüber und hinauf zu den Bergen. »Das ist schön, nicht wahr?«, fragte ich. »Weil ich immer hier gelebt habe, merke ich an manchen Tagen gar nicht, wie schön es ist. Ich kann noch immer nicht glauben, dass wir es vielleicht verlieren könnten. Aber dadurch nehme ich jetzt alles wahr. Ich sehe jeden Baum, jeden Felsen, jede Koppel, jedes Schaf. Ich möchte es in meinem Gedächtnis fotografieren, für den Fall ... na ja, für den Fall.«
»Es ist schön«, sagte Lee. »Du hast Glück. Das Restaurant hat nichts Schönes an sich. Und trotzdem empfinde ich dasselbe dafür wie du. Das kommt wahrscheinlich daher, dass wir alles selbst gemacht haben. Wenn jemand ein Fenster einschlägt, zerschlägt er Glas, das Dad zugeschnitten hat, Glas, das ich tausendmal poliert habe, und sie zerreißen Vorhänge, die Mum genäht hat. Du hängst an diesem Ort und er wird für dich zu etwas Besonderem. Vielleicht nimmt er eine Art Schönheit an.«
Ich schob mich ein bisschen näher an ihn heran. »Hast du dich scheußlich gefühlt, als du gesehen hast, dass alles zerstört ist?»
»Es gab so vieles, weswegen ich mich scheußlich fühlte, dass ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Wahrscheinlich habe ich es noch immer nicht begriffen.«
»Nein, ich auch nicht. Als wir heute Morgen hierherkamen und ich festgestellt habe, dass sie hier gewesen sind ... Ich weiß nicht. Ich hatte es erwartet, aber ich fühle mich noch immer scheußlich, aber nicht scheußlich genug. Dann fühlte ich mich schuldig, weil ich mich nicht schlechter fühlte. Es ist, wie du gesagt hast, es ist zu viel.
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