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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
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Beispiele ringsumher gefördert, vor der Zeit in ihrem Geist heranreifte.
    Man hat Folgendes beobachtet: Noch zu jeder Zeit hat sich die Erziehung, wenn sie der direkten Einflussnahme durch die Regierung ausgesetzt war, deren Tendenzen angeglichen; und da sich die Signoria in den Pensionaten, in denen der venezianische Adel erzogen wurde, in erheblichem Umfang einmischte, war die Folge, dass das Prinzip des laissez faire 24 , das insgeheim sämtliche moralischen Angelegenheiten der Republik beherrschte, sich in diesen Instituten als mächtiges Hindernis für jede Form von Disziplin auswirkte. Von dieser Laxheit rührte bei den Pensionärinnen die schlechte Angewohnheit her, dass ihnen – sei es durch den verderblichen Einfluss der im mondänen Leben schon erfahrenen Verwandten, sei es durch Aufgehen einer bereits in der Kindheit gelegten schlechten Saat, sei es als Folge allzu großer Nachsicht – der Wiedereintritt in die Welt nicht als etwas Fremdes und Widriges vor Augen stand, sondern als etwas Vertrautes und lang Ersehntes. Morosina aber war in ihren frühesten Jahren mit gesunden geistigen Prinzipien viel zu intensiv in Berührung gekommen, als dass sie der Verderbtheit der Zeiten so ohne Weiteres nachgegeben hätte.
    Bei ihrem Vater handelte es sich um einen verarmten Patrizier vom Schlag der bernabotti 25 ; als Almosenempfänger in den Küchen der reichen Herren fristete er in Venedig ein kümmerliches Dasein, als ihre Mutter starb. Morosina war damals etwa drei Jahre alt, weshalb sie sich keine Erinnerung an die Mutter bewahrt hatte; doch hielt sie ihr Andenken in Ehren und hatte sie über die Maßen lieb, weil sie den Vater voller Zuneigung von ihr hatte sprechen hören. Die ersten bewussten Erinnerungen der kleinen Waise setzten erst in Caneva ein, wohin Valiner ein Jahr nach dem Tod seiner Frau als Podestà entsandt wurde; und dieses Glück verdankte er Seiner Exzellenz Formiani, der auch damals schon in der Republik ein sehr mächtiger Mann gewesen war. Oft dachte Morosina an das abgelegene kleine Dorf in der Umgebung von Treviso zurück, wo sie in aller Unschuld vom Kind zum jungen Mädchen herangereift war, und diese geliebten Erinnerungen wurden noch versüßt durch die Vertrautheit mit Celio, die aus jenen Tagen herrührte. Vor dem Amtssitz des Podestà erstreckte sich eine große Wiese, und dort trieben neben den andern Kindern aus dem Dorf auch Celio und Morosina ihre Spiele; er schon etwa neun Jahre alt, kühnen Muts und von kräftigem Körperbau, sie gerade einmal fünf, zierlich und schlau, eine echte Venezianerin eben. Oft brauchte die kleine Schelmin Celios Schutz, und der griff immer zu ihren Gunsten ein, wobei er gelegentlich auch die Gerechtigkeit mit Füßen trat; und fanden Entschuldigungen oder versöhnliche Worte Gehör, ging alles gut aus; andernfalls erklärte sich der kleine Teufel zum bewaffneten Kämpen seiner Schönen und traktierte die Feindesseite, so zahlenmäßig überlegen und kriegerisch die auch sein mochte, mit Fausthieben. Zuweilen jedoch, wenn seine Parteilichkeit doch zu anmaßend wurde, erhob sich die ganze Schar der Dorfkinder zum Aufstand gegen ihn, und dann kam dem Ärmsten, dem das Blut aus der Nase lief, während er weitertobte, und Morosina, die weinte, weil sie ihn so zugerichtet sah, im letzten Augenblick Chirichillo zu Hilfe.
    « Hoppla, ihr Lausbuben! Was treibt ihr denn da, hm?», rief der gute Mann und trat aus dem Amtsgebäude heraus.
    Wie von Zauberhand legte sich da der Krawall, denn der Anblick des Gerichtsschreibers war auch den Kindern heilig. 26 Ruhig schritt Chirichillo auf seinen überaus langen und immer schwarzgekleideten Beinen dahin; mit der einen Hand packte er den vornehmen Celio an einem Ohr, mit der anderen denjenigen unter den Dorfbuben, der nach seinem strafrechtlichen Ermessen der Hauptverantwortliche zu sein schien, und schüttelte sie ohne Erbarmen. Das Geschrei der armen Sünder kann man sich denken! Aber der mit der Doktrin der Folter groß gewordene Gerichtsschreiber ließ sich nicht erweichen, ehe nicht die für angemessen erachtete Strafe verbüßt war. Erst dann ließ er los, und während die beiden zu seinen Füßen kauerten, der eine rechts, der andere links, und sich mit beiden Händen das gezüchtigte Ohr hielten, wandte er sich an das Mädchen:«Nun kommen Sie doch einmal hierher, mein Fräulein.»
    Morosina, ganz verängstigt von der Tortur der beiden Jungen, kam widerstrebend und mit schlenkerndem Gang näher. Wenn sie

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