Ein Engel an Güte (German Edition)
und dort war er, da er nicht wie andere Klienten die Angewohnheit hatte, seinem Gönner unentwegt mit Bitten um Gunstbezeugungen und Beförderungen zuzusetzen, dreißig Jahre hocken geblieben. Bis es Seiner Exzellenz Formiani in den Sinn kam, bestimmte strikt private Verdienste des edlen Herrn Alvise Valiner mit dem Amt eines Podestà zu belohnen, und da er sich der vollendeten Ignoranz seines Kandidaten entsann, schien ihm Messere Chirichillo der geeignete Mann, diese Mängel auszugleichen, und er fragte bei ihm an, ob er bereit sei, als Adlatus des neuen Podestà in irgendeiner ihm genehmen Stellung zu fungieren. Chirichillo willigte ein, als ob ihn die Sache nicht beträfe. Er äußerte bloß den Wunsch, in der bislang ausgeübten Funktion belassen zu werden. Aufgrund dieser Entscheidung Chirichillos wurde der sechzig Jahre alte Gerichtsschreiber von Caneva, im Dorf geboren und durch die Gewohnheit eines halben Jahrhunderts dort tief verwurzelt, unversehens nach Venedig berufen, wo er mehr tot als lebendig ankam und seinen Kopf keinen Heller mehr wert erachtete. Doch am folgenden Tag wurde er in den Regierungspalast geführt, wo ihm seine Ernennung zum Arsenalsvorsteher mitgeteilt wurde; man forderte ihn auf, seine ganze Familie nach Venedig zu holen und sogleich die mit dieser Stellung verbundene Dienstwohnung zu beziehen. Ob der Alte diesen Glücksfall, der ihm Mußestunden wie Einkommen vervielfachte, zu schätzen wusste und ob er sich an der Riva degli Schiavoni mit imaginären Verdiensten brüstete, die ihm diesen eingetragen hätten, das zu sagen ist hier nicht der Ort. Jedenfalls aber musste dieser Chirichillo ein großer Narr sein, wenn er angesichts einer solch sagenhaften Goldader an Gunst diese nutzte, um eine Stufe tiefer zu steigen, indem er sich in gleicher Position von Venedig nach Caneva versetzen ließ. Doch tat er dies mit dem größten Gleichmut, und dass es sich dabei nicht um ein lohnendes Entgegenkommen seinem Gönner gegenüber handelte, bewiesen in der Folge seine überaus diskreten Bemühungen, mittels derer er um seine Versetzung ansuchte, jedes Mal wenn der Podestà Valiner einen der üblichen häufigen Ortswechsel vorzunehmen hatte. Auch machte er sich keine Gedanken darüber, wie viel Gutes er den Gerichtsschreibern der verschiedenen Ortschaften tat, die sich unversehens in beträchtliche Positionen erhoben sahen. Wenn Chirichillo freilich im Gefolge seines Vorgesetzten einen Posten wieder einmal vakant ließ, so konnte es diesen armen Teufeln wohl passieren, dass sie in ihr früheres Elend zurückgeworfen wurden. So erging es als Erstem dem Gerichtsschreiber von Caneva selbst, der, nachdem er drei Jahre lang unter der Oberaufsicht des Arsenals in Saus und Braus gelebt hatte, eines Morgens den Befehl erhielt, umgehend in seine frühere Stellung nach Caneva zurückzukehren. Das war eine sehr bittere Pille für ihn, doch war es ratsam, sie zu schlucken. Und so wurde er wieder bescheiden und anspruchslos, setzte sich aber zugleich eifrigst für das Wohl der Signoria ein, da er sich erhoffte, in den fünfzehn Jahren Leben, die ihm noch blieben, würden sich vielleicht noch einmal drei Jahre Arsenalaufsicht unterbringen lassen, und sollten es auch die letzten sein – einerlei; dafür wäre er gern auch sieben Jahre früher gestorben!
Siebzehn Jahre lang hatte Chirichillo das mitgemacht, war dem Valiner überallhin gefolgt; von Caneva nach Torcello, von Torcello nach Monselice, von Monselice nach Monfalcone, nach Castelfranco, nach Muggia, Pirano, Lonigo 28 und schließlich nach Asolo hatte man den Gerichtsschreiber dem Podestà folgen sehen, schwarz wie ein Schatten, stumm wie ein Schatten, beharrlich wie ein Schatten.
Bis hierher wird euch Chirichillo wie ein rechter Narr erscheinen oder doch beinah; aber wenn ich euch sage, dass der einzige Grund für dieses höchst beschwerliche Umherziehen vom einen Ende der Republik zum anderen die innige, väterliche Liebe war, die er zu Valiners Töchterchen gefasst hatte, dann werdet ihr an dieser Narrheit auch viel Gutes finden. In der Tat hätte dieses Mädchen, eine mutterlose Halbwaise, in Händen eines grobschlächtigen, von ordinärsten Lastern und grenzenloser Gutmütigkeit durchdrungenen Mannes, liederlichen Dienstmägden und wenig gedeihlichem Müßiggang überlassen, den sehr wenigen Menschen, die damals Unschuld als Gut ansahen, Anlass zu ernster Sorge gegeben. Chirichillo war einer von diesen, doch aus wer weiß welcher Scheu heraus
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