Ein Engel an Güte (German Edition)

Großväter waren in geringerer Zahl als eure Väter; und ihr wiederum übertrefft diese an Zahl, und eure Kinder und Kindeskinder werden euch immer mehr übertreffen. Da aber Gott die Teilung der Seelen nicht zulässt, weil es dann vorbei wäre mit der Schuldfähigkeit, was bleibt da zu tun? Neue Seelen müssen her! Nun, ihr werdet zu diesen gehören; und weil ihr gerade eben aus dem Nichts entstanden seid, so könnt ihr euch an nichts erinnern! »
    « Und wie ist es denn nun», wandte man noch weiter ein, um sich einen Spaß zu machen und ihn zu foppen,«wie ist es denn nun um die Seele Adams bestellt, sie ist doch wohl noch hier unten, nicht wahr, eingeschlossen in einen menschlichen Körper, die Seele Adams?»
    « Nein, sie ist gewiss nicht mehr da!», rief Chirichillo.« Sie hat einen solchen Grad an Heiligkeit erreicht, dass das flüchtige Gut des Erdenlebens keine würdige Belohnung mehr für sie ist.»
    « Und wie steht es dann mit der Seele Kains?», entgegnete man.
    « Kains Seele siedet seit sechstausend Jahren in Satans Pechkesseln», rief Chirichillo,«weil sie jenen Grad an Bosheit erreicht hat, für den es nur dort unten eine angemessene Strafe gibt.»
    « Aber wie kommt es denn schlussendlich», rief man,«dass weder wir noch sonst irgendjemand auf der Welt, mit Ausnahme von Euch, sich daran erinnert, auch nur ein weiteres Mal gelebt zu haben?»
    « Zunächst einmal, wer garantiert euch denn», antwortete der Gerichtsschreiber geduldig,«dass in anderen Teilen der Welt nicht Tausende und Abertausende sich besser daran erinnern als ich? Und selbst wenn es so wäre, dass nur ich allein mich erinnerte, so würde das höchstens bedeuten, dass der Rest des Menschengeschlechts unsehgerweise das Gedächtnis verloren hat! Und so muss es auch wirklich sein, denn seht doch, bei den Ältesten unter euch ist das Gedächtnis ohnedies schon schwach, und bevor sie sterben, werden sie es gänzlich verlieren. Und nun überlegt doch, ob solche Trottel, die sich nicht einmal fünfzig Jahre weit zurückerinnern, gleich mir im Geiste drei Jahrhunderte zurückblicken können!»
    Lächelnd ging die Gesellschaft auseinander, und draußen vor der Tür brach schallendes Gelächter los, was Chirichillo, der schließlich keine Watte in den Ohren hatte, sehr wohl hörte; trotzdem sammelte er sich in aller Ruhe, erhob den Blick zum Himmel und musste schließlich selbst auch lächeln beim Gedanken daran, dass die Ungläubigkeit dieser Toren womöglich die Strafe für frevelhafte Leichtgläubigkeit in einem früheren Leben war.
    In dieser Weise erklärte er seine Glaubenslehre, wann immer er danach gefragt wurde; wenn er in Laune war, wenn man ihn aufforderte, immer aber, wenn der Fragende einen höheren Rang bekleidete, legte er auch die Wechselfälle seiner fünf vorherigen Existenzen dar. Von der ersten erinnerte er lediglich, dass er heimlich und zu wiederholten Malen sehr große Geldsummen in die Tasche gesteckt hatte. Vor Gott musste das wohl als ein sehr schlimmes Verbrechen gegolten haben, weil das zweite Leben, das ihm als Strafe für das erste auferlegt wurde, im Elend verlief, ständig auf der Flucht, immer in Gefahr, dauernd von den Häschern gehetzt, und nach einer glücklichen Verkettung ähnlicher Leiden und blutiger Vergeltung am Galgen endete. Es hätte wohl ein böses Ende mit ihm genommen, wäre ihm nicht in diesem äußersten Moment ein gütiger Priester mit Gebeten und Tröstungen zu Hilfe gekommen! Seine Seele wäre damals geradewegs ins Reich der Finsternis hinabgestürzt. Stattdessen rettete ihn aufrichtige Reue, die er dem Eifer dieses Priesters verdankte, weshalb er ihn als seinen ersten Wohltäter jeden Morgen und jeden Abend in sein Gebet einschloss. Nichtsdestotrotz war die Strafe für seine schlimmen Missetaten schwer, denn er wurde als Henker wiedergeboren. Und da hätte man ihn hören sollen, wenn er von den Qualen berichtete, die er auszustehen hatte, wenn er anderen, und womöglich einem Unschuldigen, den Strick um den Hals legen musste!
    « Aber Gesetze müssen eingehalten werden, und vor Höhergestellten zieht man den Hut», sagte er.« Als Henker habe ich mich sehr weise benommen und dieses allerunglückseligste Los mit Geduld ertragen, denn ich starb versehen mit den Heiligen Sterbesakramenten und führte sodann das Leben eines großen Herrn an einem Fürstenhof. Bei Hof war mein Betragen so ehrbar und würdevoll, dass ich binnen Kurzem Minister wurde und, wie die Vorsehung mir eingab, die