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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
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ernst nehmen oder für einen Scherz halten sollte.
    « Bestens! Und glaubst du, dass ein alter Mann von über siebzig Jahren noch Nachkommen haben kann, ohne dass das einen Skandal nach sich zieht?»
    « Ja gewiss, durch die Gnade Gottes. Und es wäre Gotteslästerung, daran zweifeln zu wollen, haben doch die Patriarchen noch mit über hundert Nachkommen gehabt.»
    « Bestens, und nun trag ruhig vor... – Schade, dass ich nicht Abraham 65 bin», dachte er indessen bei sich.
    Don Gasparo zuckte die Achseln, als wolle er sagen:«Meiner Treu, einer von uns beiden muss heute Abend verrückt sein», legte den Tacitus auf einen Schrank und nahm in der Mitte des Zimmers Aufstellung. Von dort wandte er sich zum Alkoven, wo der Inquisitor lag, wie zum Zuschauerraum eines Theaters, sperrte den Mund von einem Ohr bis zum anderen auf und hob mit donnernder Stimme an:
    « Höchste, unerhörte, schreckliche Klänge
Entquellen dem Rachen des Sängers vom sumpfigen Born.»
    Der kleine Abbe stammte aus dem Sumpfland, er war nämlich in Mazzorbo bei den Acephalen 66 und Seebarben geboren, die der gute Gozzi 67 erwähnt, und dass sein Rachen wirklich offen stand, daran konnte kein Zweifel sein, denn man sah, anatomisch gesprochen, bis in die Speiseröhre und noch weiter hinab, wenn er auf diese Weise deklamierte.
    Das Poem ging weiter mit der obligaten Anrede des Mäzens:
    « Dich, o mein Herr, ich besinge,
Spross von Ahnen vornehm an Sinn und Form.»
    Dieses«vornehm an Form»kam einer kompletten wissenschaftlichen Abhandlung über den Ursprung des Namens«Formiani»gleich, und auch wenn ein solcher altertumswissenschaftlicher Exkurs im vierten Vers einer Oktave wenig angebracht erscheint, so mag Don Gasparos unbändige Leidenschaft für Etymologien diesen Fehler entschuldigen. Und dann, welcher Fehler würde nicht aufgewogen durch die orientalische Pracht der folgenden Verse:
    « Die Leere des Chaos besinge ich, den schauerlichen Schlund,
Des höchsten Gottes besinge ich das wirkende Tun,
Das Chaos, dem du entsprangst, den Gott,
Der in dir seiner Macht höchste Entfaltung erlangt.»
    Dass der Inquisitor letztlich tatsächlich dem Chaos entsprungen war, schien nicht nur durch die Genesis bewiesen, sondern jeder, der wollte, konnte sich leicht selbst davon überzeugen, wenn er in den Saal neben Gasparos Kammer hinaufstieg, wo an einem Nagel der Stammbaum des Hauses Formiani hing. Ein größeres Chaos, als darin herrschte, wird selbst der Pinsel eines romantischen Malers nicht zustande bringen. Und wo das Durcheinander nicht reichte, hätten die venezianischen Lästerzungen mehr als genug hinzuzufügen gewusst. Darauf wollte der Dichter wohl anspielen, denn obwohl er miserable Verse drechselte, dumm oder einfältig war er nicht. Aber in diesem Augenblick schienen den Mäzen die Hyperbeln und Epigramme seines Dichters nicht sonderlich zu berühren.« Herrgott!», murmelte er unter halb geschlossenen Lidern.«Ich muss mich sputen...! Ich bin alt...! Der Neffe ist jung...! Man muss auch nach Rom schreiben...! Und dann dauert es immer noch neun Monate!»
    « Als der Neid des höchsten Jupiter
Prometheus gekettet an des Tartaros Sphären
Preisgegeben Wind und Wetter
Zum Fraß dem Schnabel des Adlers ... und der Bären.»
    So fuhr Don Gasparo immer lauter tönend fort, und der Leser möge ihm mit venezianischer Gutwilligkeit den Schnabel nachsehen, den er im vierten Vers um des Reimes willen den Bären zuschrieb. Doch der melodiöse Zauber des Poems vermochte mehr als das Getöse, wovon es begleitet war, und in der Mitte dieser zweiten Oktave verfiel Seine Exzellenz in einen so tiefen Schlaf, dass nicht einmal die erhabene Schilderung der Schlacht von Phlegra 68 mit Minen und Kontraminen, vom Poeten mit seiner donnernden Stimme vorzüglich zum Ausdruck gebracht, ihn mehr aufwecken konnte. Das war doch recht schade, denn in eben diesen Stanzen wurde die legitime Abstammung des Inquisitors von Prometheus bis herab zu seinem verstorbenen Vater nachgewiesen, der avogador del comun 69 und Ritter von der Goldenen Stola 70 usw. usf. gewesen war. Nachdem der Abbe mit seinem Geschrei an ein Ende gekommen war, trat er ans Bett Seiner Exzellenz.« Habe ich es doch gleich gesagt», murmelte er.« Die letzten Oktaven waren noch nicht ausgefeilt, und so ist er darüber eingeschlafen. Gute Nacht, Exzellenz!», sagte er mit einer Verbeugung; dann zog er sich so leise wie möglich zurück, allerdings nicht ohne sämtliche Angeln der Tür zum Kreischen

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