Ein Engel an Güte (German Edition)
Gefolge die edle Dame Cecilia und der Gerichtsschreiber Chirichillo, beide kraft Gewohnheitsrecht Teilhaber von dessen Amtsgewalt. Der Ort hatte das Pech, nicht das Wohlgefallen der edlen Dame zu erregen. Man denke sich nur: die Witwe des Prokurators Favia, gewöhnt, an venezianischen Intrigen mitzuwirken (wodurch sie sich ihren Spitznamen eingehandelt hatte), die in der Hauptstadt ein Leben voller Luxus und raffinierter Vergnügungen geführt hatte – wie hätte ein auf einen Hügel geducktes Nest, dessen Häuser sich verschämt eins hinter das andere zu kauern schienen, für eine solche Dame eine angemessene Heimstatt sein sollen! Es zählte gerade einmal achthundert Seelen, und was für Seelen, gütiger Gott! Man brauchte nur ihr Äußeres anzuschauen, um Bescheid zu wissen: ungebildet, roh, unberührt von jeder verfeinerten Zivilisation, ohne eine Ahnung von der Ehrerbietung, die man Leuten von Stand entgegenzubringen hatte.
Ihrer Meinung nach war dieses Dorf Asolo also ein Affenstall, und da half es auch nichts, dass ihm vor Kurzem ironischerweise der Titel einer Stadt zuerkannt worden war; man musste Verstand und Hände einsetzen, um aus diesen Tieren des Waldes menschenähnliche Wesen zu machen. Dass von den Bergen herab die reinste Luft wehte und die Seelen erquickte, dass die Hügel ringsum sich im festlichen Gepränge von Getreidefeldern und Rebhängen auf und ab schwangen, dass von der Burg aus der Blick über tausend liebliche Szenerien schweifte – Täler, die sich bis in die letzten Ausläufer der Alpen hinein erstreckten, Straßen, die sich Berghänge hinaufschlängelten, schattendunkle Wälder, nur kühle Frische und Vogelgesang, Ebenen fern und nah, da und dort von Bächen und Flüssen durchzogen, unterschiedlich dicht besiedelt, in diversen duftigen Grün- oder Blautönen – all das entging der edlen Dame in den zwei Jahren ihres Aufenthalts dort oben, wohingegen ihr gleich am ersten Abend auffiel, dass der Adel von Asolo kaum an das Kaffeehausleben gewöhnt war, und sie sich vornahm, ihn zu dieser glanzvollen städtischen Sitte zu bekehren, wie sie es zuvor schon mit größter Mühe in Muggia, Pirano und Lonigo getan hatte. Sehr zu Recht behauptete der Podestà, seine Gemahlin sei eine bewunderungswürdige Frau, denn es mangelte ihr gewiss nicht an den stärksten Verstandesgaben und Charaktereigenschaften: Eigensinn, Mut, Scharfblick und Beharrlichkeit besaß sie in höherem Maß als alle männlichen Mitglieder des Großen Rats zusammen. Eine gewöhnliche Frau konnte sie nicht sein, wenn der Prokurator Favia sie zur Gemahlin genommen hatte und wenn dieser alte Fuchs Formiani ihr zwanzig Jahre hindurch, zu Favias Lebzeiten und danach, ununterbrochen zu Diensten gewesen war. Wie dann diese plötzliche Hochzeit mit Valiner zustande kam und wieso sie nach dieser kein einziges Mal mehr in Venedig gesehen ward, hatten viele zu ergründen versucht, doch keinem war es gelungen. Allgemein hieß es, diese Heirat sei der ehrbare Deckmantel für eine geheime Verbannung, zu der die Signora nach tausend vergeblichen Ermahnungen von ihrem ehemaligen Cicisbeo 78 in aller Freundschaft verurteilt worden sei.
Wenn es sich so verhielt, hatte sie ihre schlechte Angewohnheit doch keineswegs abgelegt, und in Muggia, in Pirano und Lonigo hielt sie stets Ausschau nach irgendeiner Verschwörung. Nach der einen Seite spionierte sie die Untertanen aus, nach der anderen die Regierung, weswegen kein Venezianer in ihre Nähe kommen konnte, ohne dass sie ihm mit endlosen Fragen auf den Zahn fühlte, ihm mit gedungenen Spitzeln, vor allem aber mit gewissen durchdringenden, hartnäckigen Äuglein zusetzte, unter deren Blicken sich wohl manche Kleinigkeit vergrößerte, denen aber auch nicht das Geringste entging.
Mit dem Eintritt einer solchen Frau in das Hauswesen des Podestà wurden natürlich sämtliche alten Gewohnheiten über den Haufen geworfen; wo früher Stille, Ordnung und Frieden geherrscht hatten, hielten mit ihr Trubel, Durcheinander und Krieg Einzug. Sie forderte eine Kammerzofe und eine Magd, sie forderte silberne Leuchter und Wachskerzen, sie forderte Gesellschaften und Vergnügungen, sie verlangte mehr Würde und weniger Anhänglichkeit an die Flasche von ihrem Herrn Gemahl, vor allem aber forderte sie widerspruchslosen, uneingeschränkten Gehorsam. Unter den schönen Bräuchen, die bei dieser Erneuerung des Hauswesens verloren gingen, möchte ich nur den einen erwähnen, der mir die Sitten der damaligen
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