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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
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schwachen, repressiven, leichtsinnigen, schachernden Staatswesen auswirken musste, das kann jeder mit Händen greifen, wenn er sich von den wenigen Überlebenden jener Zeit, namentlich aus den Gebieten um Brescia und Bergamo, die Geschichte ihrer Jugend erzählen lässt; er wird von Diebstählen, Raub und Totschlag zu hören bekommen, als sei das bis zum Anbruch der napoleonischen Ära 75 das täglich Brot gewesen. In diesen beiden Provinzen waren die Wirren besonders schlimm, einesteils wegen ihrer geografischen Entfernung, was bei unfähigen Regierungen stets ihre Autorität zunichtemacht, andernteils wegen der größeren Gewalttätigkeit der Bevölkerung, dann aber auch wegen des überwältigenden Reichtums der Landadeligen; in etlichen Gemeinden übten sie de facto die Herrschaft aus, was in den Familien seit Generationen als Erbrechtsgut betrachtet wurde, obwohl die Signoria ihre Ansprüche geltend gemacht hatte. Es ist zum Lachen und zum Weinen zugleich, wenn man hört, wie es den bettelarmen Vikaren aus Valcamonica 76 ergangen ist, die behaupteten, sie ernährten sich von Schnecken, und ein Plätzchen an der reich gedeckten Gesindetafel eines adligen Herrn wie eine Gnade Gottes anstrebten.
    In den ans Meer grenzenden Provinzen trat diese beschämende Lage nicht so zutage, weil der Adel dort entweder durch Engstirnigkeit verarmt, durch verwerfliche Mesalliancen degeneriert oder aufgrund politischer Erwägungen dem herrschenden Patriziat eingegliedert worden war. Anstelle überzogener Vitalitätsbekundungen, wie sie typisch für die westlichen Besitzungen war, hatte sich in den östlichen Provinzen die venezianische Trägheit ausgebreitet, ein viel schlimmeres Übel, weil tief sitzend und verborgen, was seine Heilung schwierig und langwierig macht. Das soll jedoch nicht heißen, dass der in diesen Gebieten ansässige Landadel weniger Groll auf die venezianische Aristokratie gehegt hätte; doch während dieser Groll sich bei den Grundherrn jenseits der Etsch in offener Feindseligkeit und höhnisch bekundeter Verachtung zeigte, kam er diesseits der Etsch eher durch Neid und Missgunst zum Ausdruck; man begnügte sich hier mit geheimem Murren oder lächerlichen Privilegien, die ebenso spärlich geboten wie gierig ergriffen und in Anspruch genommen wurden.
    Graf Fabio Carmini entstammte einem uralten Geschlecht, das seit Jahrhunderten in Gardone bei Brescia ansässig war; er hatte sich sehr jung mit der Tochter eines reichen Patriziers vermählt, der damals in dieser Stadt Podestà war. Mit etwa dreißig, keiner weiß so recht warum, hatte er diesen Landsitz verlassen, um sich in Fonte, zwei Meilen oberhalb von Asolo, in der Mark Treviso niederzulassen, wo seine Frau ausgedehnte Ländereien besaß. Viele munkelten, der Schwiegervater, der nur zwei Jahre später verstarb, habe wegen dieses Ortswechsels einige Misshelligkeiten mit der Signoria auszustehen gehabt, die, aus ihrem üblichen Dämmerschlaf erwachend, dem Herrn Grafen ein dreiminütiges Intermezzo zwischen Todero und San Marco angedroht hatte. 77 Der Inquisitor Formiani schien der Angelegenheit nicht gänzlich fremd gegenüberzustehen, ja, seit diesem Zeitpunkt legte der Graf ihm gegenüber ein Verhalten an den Tag, in dem ein solches Gemenge aus Unterwürfigkeit und Angst war, dass es den erfahrenen Staatsmann oft zum Lachen reizte. Wie auch immer, Carmini hatte seine brescianischen Gewohnheiten auf das Gebiet von Treviso verpflanzt und führte sich dort wie ein absolutistischer Herrscher auf; mit diesem Benehmen hatte er sich die ängstlichen Gemüter der Beamten und der benachbarten Adligen so gefügig gemacht, dass er bis an die Pforten Venedigs tun und lassen konnte, was er wollte, und niemand zog ihn wegen dieses Übermuts zur Rechenschaft, ja, man bewunderte ihn sogar, wie der Sperber stets vom Taubenschwarm bewundert wird. Doch wenn er aus irgendeinem Anlass die Lagune überqueren musste (was in den ersten Jahren recht selten geschah), da konnte man ihn sehen, wie er demütig, kriecherisch, unsicher wurde, aber nur, um auf dem Heimweg bei den ersten Häusern von Mestre wieder seinen üblichen Hochmut hervorzukehren.
    Seit zwanzig Jahren regierte er das Land nun schon nach seiner Willkür, und dadurch war es ihm zur Selbstverständlichkeit geworden, die Podestà der Umgebung, also die von Cittadella, Castelfranco, Camposampiero und Asolo, wie seine Statthalter zu betrachten, als der hochwohlgeborene Valiner an letztgenanntem Ort eintraf und in seinem

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