Ein Engel an Güte (German Edition)
war, weshalb er die Wachsamkeit der Vorgänger ihres Mannes mit verschwenderischen Geldgeschenken eingelullt hatte; weshalb er seinen Palazzo in Fonte wie eine Festung gesichert hatte und sich eine Schar furchteinflößender, bis an die Zähne bewaffneter Feldhüter und Jäger hielt. Hinter diesem anmaßenden Gebaren des kleinen Tyrannen musste eine weitverzweigte Verschwörung von Provinzadeligen stecken; wahrscheinlich auf sämtliche venezianischen Besitzungen verteilt, würden die sich eines Tages auf ein Zeichen hin erheben und die Staatsgewalt an sich reißen, unter den Patriziern ein Blutbad anrichten und anstelle des geliebten San Marco irgendeinen ruchlosen Erzketzer auf die Fahnen setzen.
Von da an wurde die kleinste Handlung, jedes Wort, jede Äußerung des Grafen im Lichte des Verdachts auf solch teuflische Ränke als betrügerisch, unaufrichtig oder offen feindselig der Signoria gegenüber gewertet; Signora Cecilia zeichnete all diese Beobachtungen in einem besonderen Buch auf und konnte es kaum erwarten, diese geheimen Ermittlungen so weit gediehen zu sehen, dass sie selbst die Ungläubigsten von der Gewissheit der Bedrohung überzeugen würden.
Carmini indes bemerkte nichts von diesem Überwachungssystem, sonst hätte er nicht von sich aus einen stichhaltigen Anhaltspunkt geliefert, der solchen Hirngespinsten den Anschein von Wahrheit verleihen konnte. Und zwar geschah das, als er wegen irgendeines Angriffs auf einen seiner Leute die Festnahme eines gewissen Andrea Tramontino anordnete, eines Holzfällers aus dem Mantello 80 , der als der Schuldige galt. Tramontino, ein ungemein kräftiger Kerl von schlichtem und harmlosem Wesen, wurde im Schlaf an der Seite seiner Frau von fünf Schergen überrascht und an Händen und Füßen gefesselt. Da mochte er sich wehren und schreien, wie er wollte, er erreichte damit nichts weiter, als dass seine Frau außer sich geriet und ihm selbst mit einem mächtigen Knebel der Mund gestopft wurde. Nachdem man ihn im Galopp auf einem Karren zum Palazzo in Fonte geschafft hatte, wurde ihm der Mund dort wieder frei gemacht, doch so sehr er auch seine Unschuld beteuerte und den Grafen zu sehen verlangte, das eine wurde ihm nicht geglaubt und das andere nicht gewährt; gefesselt, wie er war, wurde er unter dem Hohngelächter der Sbirren fluchend und brüllend viermal gewippt. 81 Am ganzen Leib zerschunden, trug man ihn auf ein Felsband vor dem Palast und ließ ihn dort halb ohnmächtig liegen mit der Bemerkung, dort sei er gut aufgehoben und in Sicherheit, er werde bestimmt die ganze Nacht hindurch von niemandem belästigt, außer vielleicht von einem Wolf, der, durch den Geruch einer so leckeren Mahlzeit angelockt, von den Bergen herunterkommen mochte.
So blieb Tramontino bis zum Tagesanbruch liegen, als er von einem Fuhrmann aufgelesen und nach Cornuda geschafft wurde. Von dort schleppte er sich Schritt um Schritt nach Hause; aber auf seinem Weg ahnte der arme Mann ja nicht, welch furchtbares Unheil ihn dort erwartete. In der Tür traf er auf einen Priester; er fuhr zusammen, und ohne zu fragen, stürzte er trotz der Verrenkungen und Wunden, die er am ganzen Leib trug, hastig ins Zimmer. Seine Frau, die Ärmste, schon im fünften Monat schwanger, hatte durch die Schrecken der Nacht eine Fehlgeburt erlitten und war vor einer Stunde verschieden; zwei Frauen waren damit beschäftigt, ihr das Totenhemd anzulegen. Tramontino trug diesen Schicksalsschlag mit unglaublicher Stärke; doch es waren einzig Hass und Rachedurst, die ihn in dieser Weise aufrecht hielten, während ihm die mit solch trostlosen Gefühlen einhergehende Angst das Herz mit doppelter Grausamkeit zerfleischte. Man sah ihn, ganz zerschlagen und noch blutüberströmt, seine Frau trockenen Auges begraben – ein bejammernswertes Schauspiel; kein einziges Totengebet vermochte er für sie zu sprechen. Worauf er sich ins Bett legte und zwei Wochen lang eifrig seine Wunden kurierte; dann erhob er sich, kräftiger denn je und durch das beständige vierzehntägige Brüten in seinem Hass gefestigt. Sein erster Weg führte ihn zum Palazzo des Carmini. Als man ihm dort den Einlass verwehrte, wartete er auf den Treppenstufen bis zum Abend auf das Herauskommen des Grafen. Ihn sehen, sich auf ihn stürzen, ihn an der Gurgel packen und ein Weilchen zudrücken, ihn alsdann zu Boden werfen, mit Füßen treten und wie tot liegen lassen war ein Leichtes für ihn. Der Graf gab keinen Ton von sich und wurde erst fünf Minuten
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