Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
daran interessiert, dass etwas für mich und mit mir «geschehen» müsse, mir ausmalte, wie es mir gehen würde, wenn «alles vorbei» war.
«Wir hatten eine Patientin, die jahrelang hier war, bis sie eine Lobotomie hatte. Und heute verkauft sie Hüte in einem Hutgeschäft. Ich hab sie erst neulich gesehen, wie sie Hüte verkaufte, normal wie alle anderen auch. Wären Sie nicht gern normal?»
Alle waren der Ansicht, dass es besser für mich wäre, «normal» zu sein und meine hochtrabenden intellektuellen Ambitionen, Schriftstellerin zu werden, aufzugeben, dass es besserfür mich wäre, die Anstalt zu verlassen, einer normalen Beschäftigung nachzugehen, mit anderen Umgang zu haben …
Alles war sorgfältig vorbereitet. Ich hörte, dass einer jungen Frau in meinem Alter, die meine Freundin geworden, jedoch auf der Aufnahmestation, der «guten» Station, geblieben war, ebenfalls eine Lobotomie bevorstand.
«Nola hat auch eine», sagten sie zu mir.
Nola lässt sich die Haare glattziehen, Nola kauft sich ein Partykleid, Nola gibt eine Party – warum nicht du auch?
Nola litt an Asthma und an der schwierigen Situation, einer Familie von hochbegabten, schönen Menschen anzugehören. Ich kann mir kein Urteil über ihren «Fall» erlauben, ich kann nur sagen, dass in einer Zeit vor der Verwendung von Psychopharmaka die Lobotomie zu einer «praktischen» Behandlung wurde.
Ich betone nochmals, dass mein Schreiben mich gerettet hat. Im Stationsbüro hatte ich die Liste der «Kandidaten für eine Lobotomie» gesehen, auf der auch mein Name stand, hatte gesehen, wie andere Namen durchgestrichen wurden, während die Operation vorgenommen wurde. Ich muss fast «dran» gewesen sein, als eines Abends der Direktor des Krankenhauses, Dr. Blake Palmer, der Station einen seltenen Besuch abstattete. Er sprach mit mir – zur Verwunderung aller.
Da es meine erste Chance war, mit irgendjemandem – abgesehen von denen, die mich überredet hatten – über die Aussichten meiner Operation zu sprechen, fragte ich in dringlichem Ton: «Dr. Blake Palmer, was halten Sie davon?»
Er deutete auf die Zeitung in seiner Hand.
«Vom Preis?»
Ich war verwirrt. Welcher Preis? «Nein», sagte ich, «von der Lobotomie.»
Er blickte streng. «Ich habe entschieden, dass bei Ihnen alles so bleibt, wie es ist. Ich will nicht, dass eine Veränderung an Ihnen vorgenommen wird.» Er entfaltete seine Zeitung. «Haben Sie schon die letzten Meldungen im
Star
von heute Abend gelesen?»
Eine unsinnige Frage an jemanden in der hinteren Station, wo es keinen Lesestoff gab; das musste er doch wissen?
«Sie haben den Hubert Church Award für herausragende Prosa gewonnen. Ihr Buch,
Die Lagune
.»
Ich hatte keine Ahnung vom Hubert Church Award. Ihn zu gewinnen war offenbar etwas, über das man sich freuen konnte.
Ich lächelte. «Wirklich?»
«Ja. Und wir bringen Sie weg aus dieser Station. Und keine Lobotomie.»
Der Preis und die Beachtung eines neuen Arztes aus Schottland, der mich so nahm, wie ich ihm erschien und mich nicht nach meiner «Geschichte» oder nach Berichten über mich beurteilte, und die Maßnahme von Dr. Blake Palmer, mich als «Teedame» im vorderen Büro einzusetzen, so dass ich weniger Zeit auf der Station verbringen musste, und mir Beschäftigungstherapie zu gestatten, wo ich lernte, Körbe zu flechten, Zahnpastatuben mit Zahnpasta zu füllen und – nach einem auf Französisch geschriebenen Buch – französische Spitze zu wirken und auf großen und kleinen Webstühlen zu weben: Das alles ermöglichte mir die Vorbereitung auf die Entlassung aus der Anstalt. Statt mich einer Lobotomie zu unterziehen, wurde ich als Person mit einem gewissen Wert behandelt, als menschliches Wesen, ungeachtet der Bedenken und des Widerwillens einiger Mitglieder des Personals, die – wie gewisse Verwandte, die merken, dass einem Kind Aufmerksamkeitgeschenkt wird, die Mutter warnen, das Kind würde «verwöhnt» – pessimistisch und vielleicht neidisch von dem «Getue» um mich redeten. «So wird sie nur verzogen. Dr. Blake Palmer wird sie ‹fallenlassen›, und gleich ist sie wieder im Backsteingebäude.»
Meine Freundin Nola, die unglücklicherweise keinen Preis gewonnen hatte, deren Name nicht in der Zeitung stand, hatte ihre Lobotomie und kam zurück ins Krankenhaus, wo innerhalb der sogenannten Gruppe der «Lobotomierten» einige Versuche unternommen wurden, den Prozess, «sie zu normalisieren oder zumindest zu verändern», mit persönlicher
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