Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
Betreuung fortzusetzen. Man sprach mit den «Lobotomierten», sie wurden spazieren geführt und mit Make-up und geblümten Schals, die ihre geschorenen Schädel bedeckten, hübsch gemacht. Sie waren still, fügsam; ihre Augen waren groß und dunkel und ihre Gesichter blass, mit feuchter Haut. Sie wurden «umgeschult», um sich in die Alltagswelt «einzugliedern», die immer als «Draußen» bezeichnet wurde; «die Welt draußen». Aufgrund der Hektik der Arbeit und des Personalmangels und des zu langsamen Umschulungsprozesses wurden die Lobotomierten der Reihe nach zu den Opfern entzogener Aufmerksamkeit und versagten Interesses; der falsche Frühling wurde wieder zum Winter.
Als ich schließlich aus der Anstalt entlassen wurde, blieb Nola zurück, und obwohl sie auch Zeit außerhalb der Anstalt verbrachte, wurde sie oft erneut eingeliefert; ich blieb mit ihr über die Jahre hinweg in Verbindung, und es war wie in einem Märchen, wo das Gewissen und das, was hätte sein können und was war, nicht nur zu sprechen beginnen, sondern zum Leben erwachen und zu einem lebendigen Begleiter, einer Gedächtnisstütze werden.
Nola starb vor wenigen Jahren im Schlaf. Das Vermächtnis ihrer entmenschlichenden Veränderung lebt zweifellos weiter in allen, die sie kannten; ich trage es für immer in mir.
Ich wurde «auf Bewährung» aus dem Krankenhaus entlassen. Nachdem ich über zweihundert ungedrosselte Behandlungen mit Elektroschocks erhalten hatte, jede davon im Ausmaß der Angst einer Hinrichtung entsprechend, weshalb mein Gedächtnis zersplittert und in manchen Bereichen für immer geschwächt oder zerstört ist, und nachdem man mir Vorschläge unterbreitet hatte, mich mittels einer physischen Operation zu einem annehmbareren, fügsameren und normaleren Menschen zu machen, kam ich nach Hause nach Willowglen, äußerlich lächelnd und ruhig, doch innerlich ohne jegliches Selbstvertrauen, in der endgültigen Überzeugung, offiziell eine Nicht-Person zu sein. Ich hatte genug Fälle von Schizophrenie zu Gesicht bekommen, um zu wissen, dass ich nie daran gelitten hatte, und ich hatte die Vorstellung unentrinnbaren geistigen Untergangs längst hinter mir gelassen. Die Meinung der «Fachleute» und der «Welt» jedoch stand im Gegensatz zu dieser Ansicht, und ich war in keiner Verfassung, mich zu behaupten. Dazu kam noch die Angst, was mit mir passieren würde, falls ich je wieder ins Krankenhaus kam. Und noch immer existierte die Tatsache, das Problem, dessen Klärung vor acht oder neun Jahren mir die Freiheit gegeben hätte, das Leben zu führen, das ich wollte. Ein Problem mit einer so einfachen Lösung! Ein Platz, wo ich leben und schreiben konnte, und genug Geld, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Erschreckend war auch das Wissen, dass der Wunsch zu schreiben, die Freude am Schreiben nicht unbedingt der Begabung entspricht. War es nicht vielleicht doch so, dass ichmich selbst täuschte, so wie andere Patienten, die ich in der Anstalt gesehen hatte, eine im Besonderen, eine harmlose junge Frau, die Tag für Tag still in der Aufnahmestation saß und an ihrem «Buch» schrieb, weil sie eine Schriftstellerin sein wollte – doch bei näherer Betrachtung enthüllte dieses Buch seitenweise nichts als o-o-o-o-o-o-o, mit Bleistift geschrieben. Oder war das die neue Form der Kommunikation?
Trotz allem freute ich mich, nach Willowglen zurückzukehren, wo ich zumindest hinausgehen konnte unter den freien Himmel, wo ich selbst die einfachste menschliche Funktion verrichten konnte, ohne dass man mich dazu zwang oder mir bei der Verrichtung zusah. Ich konnte selbst
bestimmen
, was ich tun wollte, wo ich sein wollte, wie ich empfinden wollte, was für Gedanken ich mir über meine
Zukunft
machen wollte. Die Wörter
bestimmen
und
Zukunft
, die in meiner Kindheit eine so wichtige Rolle gespielt hatten, bekamen eine neue, tiefere Bedeutung.
Nachdem ich ein Nichts und ein Niemand gewesen war und mich auch so gefühlt hatte, und nachdem man mich in einen Zustand fortgesetzter körperlicher und emotionaler Unterwerfung hineingezwungen hatte, hatte ich nun das Gefühl, als würde die Welt über mich hinwegfegen und mich verschlingen, während ich mich unterwürfig allen Vorschlägen und Befehlen anderer beugte, aus der gewohnheitsmäßigen Angst heraus, die in der Anstalt in mir gewachsen war.
Aber welche Freude war es, wieder mit meiner Siggy, die mittlerweile viele Junge hatte, auf den Hügeln herumzuwandern, dem Matagouri nahe
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