Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
Krankenhaus von Seacliff. Schon bei meiner Ankunft wusste ich, dass die Tage der Praktik dieser Form von Flucht vorbei waren. Ich würde irgendwohin gehen, allein leben, genug Geld verdienen, um davon zu leben, meine Bücher schreiben: Doch es war zwecklos. Ich hatte nun das, was man eine «Geschichte» nennt, und die Art des Umgangs mit denen, die eine «Geschichte» hatten, war immer die gleiche, ohne genauere Untersuchung. Aufgrund meiner Panik brachte man mich sehr rasch auf die hintere Station, in das Backsteingebäude, wo ich zu einer der Vergessenen wurde. Als Mutter wieder gesund war, besuchten sie und Bruddie und Dad mich zu Weihnachten und zum Geburtstag und zu ein, zwei anderen Anlässen während des Jahres. Es war nun allgemein akzeptiert, dass ich «lebenslänglich» im Krankenhaus bleiben würde. Was ich in der Person Istina Mavet geschildert habe, ist mein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, als die Monate vergingen, meine Angst, den ununterbrochenen Zustand körperlicher Gefangenschaft erdulden zu müssen, wo ich tatsächlich Menschen ausgeliefert war, die ihr Urteil fällten und ihre Entscheidungen trafen, ohne sich auch nur ausführlich mit mir zu unterhalten oder zu versuchen, mich kennenzulernen, oder mich wenigstens den Standardtests zu unterziehen, die Psychiatern zur Verfügung stehen. Man könnte diesen Zustand als erzwungene Ergebung in den Freiheitsentzug definieren.
In der hinteren Abteilung wurde ich Teil einer unvergesslichen Familie, deren Mitglieder ich in
Gesichter im Wasser
beschrieben habe. Es waren ihre Traurigkeit und ihr Mut und mein Wunsch, für sie zu «sprechen», die mich überleben ließen, unterstützt vom Verständnis so anständiger Schwesternschülerinnen und Vollschwestern wie Cassidy und Doherty (beides Maorifrauen), «Taffy», der walisischen Schwester, die jetzt in Cardiff lebt, Noreen Ramsay (die mir Extrarationen gab, wenn ich hungrig war) und anderer. Die Haltung der Verantwortlichen, die bedauerlicherweise die Gutachten erstellten und die Behandlungsmethoden bestimmten, war eine des Tadels und der Bestrafung, und es wurde mit bestimmten Formen medizinischer Behandlung als Strafe gedroht, wenn man nicht «kooperierte», wobei »nicht kooperieren» bedeuten konnte, dass man sich weigerte, einen Befehl zu befolgen, zum Beispiel, sich gemeinsam mit sechs anderen auf die türlosen Toiletten zu begeben und vor aller Augen zu urinieren; für diese Widersetzlichkeit musste man sich von der Schwester beschimpfen lassen: «Nicht so zimperlich! Na, Fräulein Obergescheit, Sie werden hier noch einiges lernen müssen.»
Sehr geehrte Gebildete, Fräulein Obergescheit: Traurigerweise ließ die Tatsache, dass ich die Oberschule, die Pädagogische Hochschule und die Universität besucht hatte, bei einem Teil des Personals eine rachsüchtige Seite zutage treten.
Es war mein Schreiben, das mir schließlich zu Hilfe kam. Kein Wunder, dass ich das Schreiben als Lebensform schätze, da es mir tatsächlich das Leben gerettet hat. Man hatte meine Mutter überredet, die schriftliche Genehmigung zu erteilen, dass an mir eine Lobotomie durchgeführt werden konnte. Ich weiß, sie hätte es nicht getan, wenn die Fachleute nicht gewichtige Gründe dafür vorgebracht hätten – die Fachleute,die in all den Jahren, in denen meine «Geschichte» anwuchs, nie länger als zehn oder fünfzehn Minuten auf einmal mit mir gesprochen hatten und insgesamt etwa achtzig Minuten in über acht Jahren; die keine Tests angeordnet hatten, nicht einmal ein Elektroenzephalogramm oder Röntgenaufnahmen (abgesehen von dem Bruströntgen immer dann, wenn ein neuer Fall von Tuberkulose auftrat, eine Krankheit, die in psychiatrischen Kliniken häufig vorkam); die Fachleute, deren Urteil sich auf Tagesberichte überarbeiteter, gereizter Oberschwestern stützte. Ich hörte zu und versuchte, die Welle des Entsetzens, die mich ergriff, nicht über mir zusammenschlagen zu lassen, als Dr. Burt, ein netter, überarbeiteter junger Arzt, der bisher kaum mit mir gesprochen hatte, außer um «Guten Morgen, wie geht es Ihnen» zu sagen und keine Antwort abzuwarten, wenn er durch die Station fegte,
Zeit fand
für die Erklärung, dass man eine Lobotomie an mir vornehmen wollte, dass das gut für mich sein würde, dass ich danach «im Handumdrehen aus dem Krankenhaus entlassen» werden könnte. Ich hörte auch mit dem Gefühl zu, dass meine Auslöschung bald völlig abgeschlossen sein würde, als die Stationsschwester, auf einmal
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