Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
Erzählungen oder Gedichte haben, dann hinterlassen Sie sie in der Buchhandlung.»
«Ja», flüsterte ich schüchtern.
Als Mr Brasch die Tür öffnete, sagte er bestürzt: «Oh, es regnet, und Sie haben keinen Mantel. Wollen Sie einen Mantel?»
«Nein danke, ich habe es nicht weit.»
Als ich ins Grand Hotel zurückgekehrt war und meine Arbeitskollegen mich über meinen Besuch ausfragten, sagte ich hinterlistig: «Er hat mir einen Mantel angeboten.»
Sie waren beeindruckt.
«Aber du hättest Perlen tragen sollen», sagten sie.
In dieser Woche tippte ich eine Erzählung und zwei Gedichte für
Landfall
. Die Erzählung «Ginster und Menschen sind zweierlei» handelte von einem Besuch meiner selbst und einer anderen Patientin in Dunedin, in Begleitung einer Krankenschwester. Nach den vielen Jahren in der Anstalt besaß ich fast keine Kleidung, vielleicht weil meine Familie sich vorstellte, dass die Leute im Krankenhaus Patienten sind, die im Bett liegen und Nachthemden anhaben; außerdem konnte es sich meine Familie nicht leisten, mir Kleider zu kaufen, und ich bat sie nur ungern darum; deshalb schickte mich die Anstaltsbehörde mit einer Schwester nach Dunedin, die mir Unterwäsche kaufen und die Angelegenheiten der anderen Patientin erledigen sollte, einer Frau, die gerade ihren einundzwanzigsten Geburtstag hatte und «mündig» wurde, wie man es nannte. Sie hieß Linda, eine kleine, verhutzelte Person, die seit ihrer frühen Kindheit in der Anstalt war und ihre zwergenhafte Größe damit erklärte, dass sie «unehelich» sei und ihre Mutter nicht gewollt habe, dass sie wachse. Nur dasPersonal kannte den Grund, weshalb sie in der Anstalt war. Die Patienten, darunter auch ich, sahen sie als eine kleine Person, gewitzt, willensstark, imstande, sich gegen viele der Patienten im Tagesraum durchzusetzen, sowohl im «sauberen» Tagesraum als auch in dem, der der «schmutzige» genannt wurde. Linda hatte auch die Kontrolle über den Radioapparat und wählte das Programm aus. Seit Monaten freute sie sich auf ihren «Einundzwanzigsten», sie sah darin die Erfüllung all ihrer Träume und war überzeugt, sie würde sich dann verloben, vielleicht sogar heiraten, und «aus dieser Bruchbude abhauen». Um auf ihre Verlobung vorbereitet zu sein, hatte sie einen hübschen blauen Ring im Anstaltsladen gekauft, den wir jede Woche aufsuchten, um das staatliche Taschengeld von fünf Shilling auszugeben. Linda war überzeugt, dass ihr Tag in Dunedin mit ihrer nahenden Verlobung und Freiheit in Zusammenhang stand.
Ihre Aufregung war ansteckend. Es würde ein wunderbarer Tag werden. Kuchen, Eis, vielleicht ein Kinobesuch, wo wir in einem «richtigen» Publikum sitzen würden. Und Linda, die auch niemanden hatte, der sie mit Kleidung versorgte, sollte einen Rock und Unterwäsche bekommen.
Meine Erzählung versuchte die tatsächlichen Umstände des Besuches zu vermitteln. Die Schwester hatte mir erklärt, dass Linda den wahren Grund für den Besuch in Dunedin nicht kannte – sie sollte einen Beamten aufsuchen, der sie nun, da sie einundzwanzig und erwachsen war, offiziell «lebenslänglich» ins Krankenhaus einweisen sollte.
Auch nach unserer Rückkehr aus der Stadt redete Linda noch von dem «netten Mann», der «speziell» mit ihr gesprochen habe und ihr «zukünftiger Ehemann» hätte sein können, «nur war er zu alt. Er hat aber gewusst, dass ich erwachsenbin, dass ich schon meinen Einundzwanzigsten gehabt habe. Ich hab ihm meinen Verlobungsring gezeigt,
Safiere
».
Die beiden Gedichte, die ich
Landfall
anbot, vergisst man am besten, so unbeholfen waren sie geschrieben. «Das Schlachthaus» begann folgendermaßen:
Der Geist, der das Schlachthaus betritt,
muss ruhig sein, ganz ruhig,
muss reingewaschen, begossen werden, wo das körnige Fell
sich festhält an Spuren von Bakteriengedanken,
muss den betäubenden Hammer
schweigend erwarten,
nichts wissend von künftiger Last.
Die Behandlung mit Elektroschocks mag vielleicht viele düstere Erinnerungen zu Tür und Tor hinausjagen; sicher ist jedoch, dass sie die düsteren Erinnerungen an sie selbst, nämlich an diese Schockbehandlung, hereinbittet als ständige Bewohner.
Ich hinterlegte die Erzählung und die Gedichte in der Buchhandlung der Moderne, in einem an Charles Brasch adressierten Umschlag, dann ging ich wieder ins Grand Hotel, um die Antwort abzuwarten. Ich saß in meinem Zimmer und dachte mir alle möglichen Beurteilungen aus, stellte mir vor, wie Charles Brasch
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