Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
brachte genügend Geld mit nach Willowglen, um eineHeizdecke für Mutter und Dad zu kaufen, damit sie besser über den grässlichen Winter kamen, genug für die Fahrkarte und ein paar Wochen Lebensunterhalt in Auckland und genug, um mich im Clark-Fotostudio in der Thames Street fotografieren zu lassen. Das Foto war unbedingt erforderlich, eine Art Wiederherstellung meiner selbst als Person, ein Beweis, dass ich existierte. In meiner Unkenntnis der Veröffentlichung von Büchern hatte ich angenommen, alle Bücher enthielten Fotos ihrer Autoren, und ich erinnerte mich an das Gefühl, als mir Exemplare der
Lagune
ins Krankenhaus gebracht wurden: dass ich keinen Anspruch auf das Buch hatte, dass es nicht einmal ein Foto gab, das mir hätte helfen können, einen solchen Anspruch zu erheben.
Dies, verbunden mit meiner Auslöschung im Krankenhaus, schien mich allzu schnell unter die Toten zu versetzen, die nicht mehr fotografiert werden; von meinen Lebensjahren zwischen zwanzig und knapp dreißig war nichts dokumentiert, so als hätte es mich nie gegeben.
Ich erinnerte mich daran, wie ich als Kind immer vor dem Clark-Studio stehengeblieben war, um die Fotos hinter ihrer Säule aus Glas zu betrachten: Sie stellten feierliche Ereignisse im Leben von Leuten aus Oamaru dar, die sich Studiofotos leisten konnten – es gab neugeborene Babys, kleine Kinder, die ihre ersten Schritte taten, Konfirmationen, Reihen von Debütantinnen in Abendkleidern, Vereinstreffen, Familientreffen, Fotos vom einundzwanzigsten Geburtstag, Verlobungs- und Hochzeitsfotos: der ganze Kreislauf, außer den Toten. Es gab auch keine Fotos von Auferstehungen.
In der ersten Woche nach meiner Rückkehr nach Willowglen ließ ich mir die Haare «waschen und legen», wobei mir die Friseuse versicherte, mein Haar würde niemals gutaussehen, wenn man es nicht
fachmännisch glattziehen
ließ. Ich suchte in der obersten Lade der Kommode, wo die Familien-«Schätze» aufbewahrt wurden, nach der Bernsteinkette, die Großmutter mir geschenkt hatte, aber sie war fort, als wäre ich gestorben. Dads Medaille aus dem Krieg war da, und seine Erkennungsmarke und sein Soldbuch und Isabels hauchdünne Eihaut, ihre
Glückshaube
, die, so hatten wir gemeint, verhindern würde, dass sie je ertrank.
Ich trug mein altes Kostüm, eine Bluse und keine Halskette. Das fertige Foto zeigte eine gesunde junge Frau mit offenkundig falschen Zähnen, einem selbstgefälligen Lächeln und einem Godfrey-Kinn. Es war ein erfrischendes, handfestes Foto. Ich lebte also wieder.
Ich wusste, dass die Heizdecke ein Versuch war, meinen Eltern mehr als nur körperliche Wärme zu schenken. Ich wusste, sie wollten, dass ich zu Hause blieb, und ich hatte Schuldgefühle, weil ich wegging, da es für eine alleinstehende Frau Sitte war, bei ihren älter werdenden Eltern zu bleiben. Sie hegten auch Zweifel an meiner Fähigkeit, mich in der Welt zu «behaupten», und weil sie die fachmännische Ansicht der Ärzte respektierten, fürchteten sie, ich könnte durch das Schreiben «mein Hirn strapazieren». Die Heizdecke war auch ein Versuch, die sonnige, andere Welt des «Wiesengrundes» in ein Haus zu bringen, das den Großteil des Tages von Frost umschlossen war. Es verfolgte mich geradezu, wie Mutter mit solcher Sehnsucht zum «Wiesengrund» hinunterblickte und wie es ihr gelang, aus dem Sonnenlicht dort auf dem Gras zwischen den Bäumen einen fast biblischen Traum zu spinnen, der Erfüllung verhieß: eines Tages, eines Tages. Der Gedanke, dass sie krank war, dass ihr Tod vielleicht nicht mehr fernlag, verlieh für mich den Worten und Gesten derMenschen, die sie umgaben – mein Vater, mein Bruder und ich – eine durchdringende Klarheit; wir hatten stets das Gefühl gehabt, sie sei ein Geschenk, das man für immer in Ehren halten musste, und konnten uns ihren Tod nicht vorstellen. Unsere übermäßige Sorge wich manchmal einem Ärger darüber, dass sie so «jenseitsgerichtet» war. Ich empfand eine Feindseligkeit ihr gegenüber, weil sie sich bereit machte, uns zu verlassen, sie war eindeutig müde, und ihr tiefer Glaube an Christi Wiederkunft und an die Auferstehung der Toten erfüllte sie mit einem Gefühl der Vorfreude, das ihr «Hinuntergehen zum Wiesengrund in der Kühle des Abends» fast zu einer unnötigen Übung machte. Es machte sie schon glücklich, wenn sie davon träumte; ich war es, die wollte, dass es Wirklichkeit wurde, wollte einfach sehen, wie sie sich unter den Kiefern in der Abendsonne
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