Ein Engel fuer Emily
Telefonhörer, wählte die Nummer des Fernsehsenders und hoffte, dass sie Donald noch dort erwischte. Sie lauschte mit angehaltenem Atem auf das Klingeln am anderen Ende der Leitung, dann musste sie warten, bis die Telefonistin Donald ausfindig gemacht hatte.
Vielleicht weiß er etwas, überlegte Emily, denn Donald war nicht nur irgendein hübsches Fernsehgesicht -er war ein Top-Journalist und kannte eine Menge Leute und Geheimnisse. Emily, die in der Bibliothek Zugang zu Schriftstücken aus der ganzen Welt hatte, hatte ihm schon einige Male bei der Recherche von erstaunlichen Storys geholfen.
»Hey, Süße!«, rief Donald. »Hab' ich ein bisschen was gutgemacht? Du bist der hübscheste Engel ...»
»Donald«, fiel sie ihm ins Wort. »Meine Nase juckt.« Sein Lachen erstarb sofort. »Weshalb?«
»Wegen der letzten Meldung, die du gebracht hast -die von dem Mann, der in der Zelle getötet wurde. Da steckt mehr dahinter, oder?«
Donald senkte die Stimme, und Emily wusste, dass er sich vergewissert hatte, ob jemand mithörte. »Ich weiß es nicht. Man hat mir die Nachricht zum Lesen hereingereicht. Lass mich ein paar Anrufe machen. Bist du später in deinem Hotelzimmer? Ich rufe dich zurück.«
Emily bejahte seine Frage und legte auf.
Ihr »Unheil-Detektor« - so hatte ihr Vater ihre Nase genannt, weil das Jucken schon zwei Mal das Leben eines Familienmitglieds gerettet hatte. Wie damals, als sie sechs Jahre alt gewesen war und sie und ihr Bruder mit dem Vater Karussell fahren sollten. Emily hatte geschrien und behauptet, sie könnten nicht auf das Karussell steigen, weil ihre Nase jucke. Ihr Bruder wurde wütend, doch der Vater machte sich ein wenig lustig und erklärte sich einverstanden, zu warten und erst bei der nächsten Runde mitzufahren. Es gab keine nächste Runde - wenige Minuten später brach ein Zahnrad im Antrieb des Karussells. Die Passagiere wurden von ihren Sitzen geschleudert, vier Menschen kamen ums Leben, und einige wurden verletzt. Nach diesem Vorfall wurde die Familie hellhörig, wenn Emily sagte, ihr jucke die Nase.
Als ihre Eltern Donald die Geschichte erzählten, hatte er nicht gelacht wie ihre früheren Freunde, sondern sie gebeten, ihm jedes Mal Bescheid zu sagen, wenn sie das Bedürfnis verspürte, sich zu kratzen. Drei Monate nach diesem Gespräch warnte sie ihn tatsächlich. Sie gingen zu einer Party, auf der man Emily einen Mann vorstellte, den alle für einen großartigen Typen hielten. Ihm gehörte der Fernsehsender, der Donald kurz zuvor als Anchorman für die Nachrichten eingestellt hatte, und Donald bewunderte diesen Mann. Aber Emily sagte, in seiner Anwesenheit würde ihre Nase jucken, und Donald stellte daraufhin einige Nachforschungen an und fand heraus, dass der Mann bis zum Hals in einem Grundstücksskandal steckte. Er wurde sechs Monate später verhaftet, doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich Donald bereits sauber aus der Affäre gezogen und sich einen anderen Sender gesucht. Am Tag der Verhaftung veröffentliche Donald die Story und kam allen anderen Nachrichtenmedien zuvor. Es war Donalds erste ganz große Story, und er erwarb sich damit den Ruf, ein hartgesottener, ernst zu nehmender Journalist und nicht nur ein Nachrichtensprecher zu sein.
Emilys Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während sie auf den Rückruf wartete. Sie lief rastlos auf und ab. Als das Telefon klingelte, stürzte sie sich regelrecht darauf.
»Ich schulde dir Rosen.«
»Gelbe«, erwiderte sie prompt. »Jetzt sag schon, was hast du erfahren?«
»Möglicherweise haben sie den falschen Mann verhaftet. Sein Name ist zwar tatsächlich Michael Chamberlain, aber jetzt sind sie nicht mehr sicher, ob er ein Killer ist.«
»Wieso wurde er dann nicht aus der Haft entlassen?«
»Nachdem das FBI an die Presse weitergegeben hatte, dass sie endlich einen berüchtigten Mörder geschnappt haben? Wohl kaum. Sie hatten vor, ihn ins Gefängnis zu stecken, bis Gras über die Sache gewachsen wäre, und ihn dann freizulassen.«
»Und wer hat auf ihn geschossen?«
»Das kannst du dir aussuchen. Könnte jemand vom FBI gewesen sein, der die Panne vertuschen wollte. Oder vielleicht die Mafia, die den Burschen kaltmachen wollte, um von dem wahren Mörder abzulenken. Oder seine Frau.«
»Seine Frau?«
»Ja. Soweit ich gehört habe, war sie der Grund, warum er überhaupt aufs Revier gebracht wurde. Die Frau hat ihm einen Revolver an den Kopf gehalten und kreischend gedroht, ihn umzubringen. Ein Nachbar hat die Polizei
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