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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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schwerlich glauben wir,
    was schwer zu glauben ist.
    Ovid

    10.   Dezember
    In jener Nacht fand Nathan wenig Schlaf.
    Am nächsten Morgen erwachte er spät, in kalten Schweiß gebadet. Er spürte wieder diesen stechenden Schmerz in der Brust, der nicht nachgelassen hatte. Er rieb sich die rechte Seite und hatte das Gefühl, dass der Schmerz stärker wurde.
    Zu allem Übel hatte er wieder diesen Traum vom Ertrinken gehabt, der ein sicheres Zeichen für seine Angst war. Bestimmt hatte er nur geträumt, weil Goodrich von Schwänen gesprochen hatte.
    Er stand auf und merkte, dass seine Beine zitterten. Er fühlte sich so fiebrig, dass er sich ein Thermometer unter den Arm schob.
    37,8. Kein Grund zur Beunruhigung.
    Dennoch, er war nicht fit und es war bereits spät, also verzichtete er aufs Laufen. Das würde ein ganz schlechter Tag werden.
    Aus dem Apothekenschränkchen nahm er sich eine Tablette Prozac und schluckte sie mit wenig Wasser. Er nahm sie regelmäßig, seit … seit er sein inneres Gleichgewicht verloren hatte.
    Er sammelte die Akten ein, die auf dem Sofa herumlagen. Gestern Abend hatte er nicht viel erledigt. Heute wollte er dafür doppelt so viel arbeiten. Erst recht, weil er kurz davor stand, eine Einigung in der Sache Rightby’s zu erlangen. Das berühmte Auktionshaus, dessen Verteidigung er übernommen hatte, war angeklagt, das Antitrust-Gesetz verletzt zu haben, weil es mit seinem Hauptkonkurrenten eine Absprache getroffen hatte, mit der vergleichbare Provisionssätze beim Verkauf von Kunstwerken festgelegt wurden. Es war ein heikler Fall, und er bekam seine Stundensätze nicht fürs Nichtstun. Aber wenn es ihm gelang, eine gute Einigung zu erzielen, würde sein Ansehen noch weiter steigen.
    Obwohl er spät dran war, blieb er lange unter der heißen Dusche und ging in Gedanken noch mal den Selbstmord von Kevin Williamson durch. Er erinnerte sich auch an einige Worte Goodrichs: »Nathan, ich glaube, ich könnte Ihnen dienen. Einige Prüfungen können schmerzlich sein, Sie werden das erkennen.«
    Er hatte auch auf die »Notwendigkeit, gut vorbereitet zu sein« hingewiesen.
    Was um Himmels willen wollte der Typ von ihm? Das Ganze begann ihn zu beunruhigen. Sollte er jemanden benachrichtigen? Die Polizei? Immerhin hatte es gestern Abend einen Toten gegeben. Ja, aber es war Selbstmord. Viele Menschen konnten das bezeugen. Dennoch trug Goodrich in dieser Geschichte einen Teil der Verantwortung. Auf jeden Fall hatte er Informationen gehabt, die er nicht hätte für sich behalten dürfen.
    Nathan trat aus der Duschkabine und trocknete sich energisch ab.
    Vielleicht war es am besten, nicht mehr daran zu denken. Er hatte nicht die Zeit dazu. Er durfte sich nie mehr breitschlagen lassen, Goodrich zu treffen. Nie mehr …
    So würde am Ende alles wieder in Ordnung kommen.
    Bevor er losging, schluckte er noch zwei Aspirin und eine Vitamin-C-Tablette.
    Er wusste, dass er sich mit Medikamenten zurückhalten sollte. Aber nicht heute. Dies war nicht der Tag der Mäßigung.
    Es dauerte eine Weile, bis er ein Taxi fand. Das Auto wendete in Höhe des Columbus Circle und fuhr an der Grand Army Plaza vorbei.
    Ich werde zu spät kommen, dachte er und wechselte ein paar nichts sagende Worte mit dem pakistanischen Chauffeur. Zu allem Übel stellte sich ein Lieferwagen vor das GM Building, was einen leichten Stau auf der Madison verursachte. Nathan stieg aus und ging zu Fuß durch den Korridor aus Metall und Glas, den die Wolkenkratzer der Park Avenue formten. Das brodelnde Chaos der Stadt schlug ihm entgegen, angefangen bei den erregten Stimmen der Plakatträger bis zu dem Hupkonzert, das eine Limousine mit getönten Scheiben veranstaltete, weil sie um ihn herumfahren musste. Er fühlte sich plötzlich beengt, eingezwängt in diesen feindlichen Raum, und er spürte Erleichterung, als er vor dem auffälligen Eingang des Marble-&-March-Gebäudes stand, über den sich ein Mosaikgewölbe im byzantinischen Stil spannte. Nathan fuhr zunächst in den 30.   Stock, wo den Teilhabern ein großer Ruheraum und eine kleine Cafeteria zur Verfügung standen. Manchmal blieb er über Nacht hier, wenn er zu viel Arbeit auf dem Schreibtisch hatte. Er holte ein paar Unterlagen aus dem Aktenschrank und stieg eine Etage höher, wo sich sein Büro befand.
    Da er heute ungewöhnlich spät kam, warf ihm seine Sekretärin einen fragenden Blick zu.
    »Abby, bitte bringen Sie mir meine Post und einen extra starken Kaffee …«
    Sie wandte sich auf

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