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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Gefallen tun? Hören Sie auf, alle zwei Minuten auf Ihre Armbanduhr zu schauen.«
    Nathan stieß einen Seufzer aus.
    »Okay, nehmen wir uns Zeit«, sagte er, lockerte seine Krawatte und zog sein Jackett aus.
    Garrett aß einen Beignet und trank einen Schluck Kaffee.
    »Sie halten mich für einen Irren, stimmt’s?«
    »Ich gebe zu, dieser Gedanke ist mir durch den Kopf gegangen«, erwiderte der Anwalt ernsthaft.
    »Haben Sie schon mal was von Palliativmedizin gehört?«
    »Ich habe gelesen, dass Sie die Abteilung an dieser Klinik leiten.«
    »Genau. Wie Sie wissen, nimmt diese Station Patienten auf, die von der Medizin aufgegeben wurden.«
    »Und Sie geben ihnen psychologische Unterstützung …«
    »Ja. Sie haben nur noch ein paar Wochen zu leben, und sie wissen es. Das ist eine schwer zu ertragende Situation.«
    Es war bereits zwei Uhr nachmittags. Der große Raum der Cafeteria war nur halb voll. Nathan nahm sich eine Zigarette, zündete sie aber nicht an.
    »Unsere Aufgabe besteht darin, sie bis zum Tod zu begleiten«, fuhr Goodrich fort. »Ihnen zu helfen, die Zeit, die ihnen bleibt, zu nutzen, in Frieden aus dieser Welt zu scheiden.«
    Er machte eine Pause und sagte dann:
    »In Frieden mit sich selbst und mit den anderen.«
    »Sehr schön, aber inwiefern betrifft das mich …«
    Goodrich brauste auf:
    »Inwiefern das Sie betrifft? Immer dieselbe Frage nach Ihrem kleinen Ego. Inwiefern ist Nathan Del Amico, der große Anwalt, der vierhundert Dollar pro Stunde berechnet, vom Elend der Welt betroffen? Können Sie nicht mal für einen Augenblick Ihre kleine unwichtige Person vergessen?«
    Das ging zu weit. Der Anwalt schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Hören Sie mir zu, Sie unverschämtes Arschloch! Seit der Grundschule hat niemand mehr in diesem Ton mit mir gesprochen, und das wird auch so bleiben!«
    Brüsk stand er auf. Um sich zu beruhigen, bestellte er an der Theke eine kleine Flasche Evian. Die anderen Gespräche in der Cafeteria waren verstummt, und alle schauten ihn vorwurfsvoll an.
    Beherrsch dich! Immerhin bist du in einem Krankenhaus!
    Er öffnete die Flasche und trank sie halb aus. Eine Minute später nahm er wieder an seinem Tisch Platz. Er fixierte Goodrich, um ihm zu verstehen zu geben, dass er ganz und gar nicht beeindruckt war. »Fahren Sie fort«, bat er in einem ruhigen Ton, der jedoch latente Feindseligkeit verriet.
    Die Spannung zwischen den beiden Männern war greifbar. Dennoch setzte der Arzt seine Rede an der Stelle fort, an der er unterbrochen worden war. »Die Abteilung Palliativmedizin ist für todkranke Patienten eingerichtet worden. Aber es gibt auch eine Menge von Todesfällen, die unmöglich vorherzusehen sind.«
    »Wie Unfälle?«
    »Ja, Unfälle, gewaltsame Tode, Krankheiten, die die Ärzte nicht oder zu spät entdeckt haben.«
    Nathan begriff, dass Goodrich sich der entscheidenden Stelle seiner Erläuterung näherte. Er spürte immer noch diesen Schmerz, der wie ein Schraubstock seine Brust zusammenpresste.
    »Wie ich Ihnen bereits erklärt habe«, begann Goodrich wieder, »ist es viel leichter, den Tod anzunehmen, wenn man sein Werk vollendet und seine Angelegenheiten geordnet hat.«
    »Aber das ist bei einem unerwarteten Tod nicht möglich.«
    »Nicht immer.«
    »Was heißt, nicht immer?«
    »Na ja, das ist eine der Aufgaben der Boten.«
    »Der Boten?«
    »Ja, Nathan, es gibt Personen, die Sterbende auf den großen Sprung in die andere Welt vorbereiten.« Der Anwalt schüttelte den Kopf.
    Die andere Welt! Das ist doch reinster Wahnsinn.
    »Wollen Sie damit ausdrücken, dass einige im Voraus wissen, wer sterben wird?«
    »So ungefähr«, erwiderte Garrett ernst. »Die Rolle der Boten besteht darin, die friedliche Trennung der Lebenden und der Toten zu erleichtern. Sie ermöglichen es den Sterbenden, ihr Leben vor dem Tod in Ordnung zu bringen.«
    Nathan seufzte.
    »Ich glaube, bei mir sind Sie an der falschen Adresse: Ich gehöre eher zur kartesianischen Sorte Mensch, und mein spirituelles Leben bewegt sich ungefähr auf dem Niveau des Regenwurms.«
    »Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es schwer fällt zu glauben.«
    Nathan zuckte die Schultern und wandte den Kopf zum Fenster.
    Was mache ich hier ?
    Jetzt fielen wieder dichte Schneeflocken vom grauen Himmel und ließen sich auf dem großen Glasfenster nieder, das auf den Parkplatz hinausging.
    »Und wenn ich richtig verstehe, sind Sie einer dieser …«
    »… dieser Boten, ja.«
    »Deshalb wussten Sie über Kevin

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