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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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zu suchen, und folgte dem Arzt wortlos in den Operationssaal, wo ihn eine Krankenschwester und ein assistierender Chirurg erwarteten.
    Kaum hatte er den Fuß in den fensterlosen Saal mit der grellen Beleuchtung gesetzt, begriff er, dass ihm nicht gefallen würde, was er sehen würde.
    Was für ein Gräuel! Wie die meisten Menschen hasste er den Krankenhausgeruch, der böse Erinnerungen weckte.
    Er verzog sich in eine abgelegene Ecke und schwieg.
    »Es ist ein bösartiger Krebs«, erklärte Goodrich seinem Kollegen. »Ein Mann um die fünfzig, starker Raucher, Diagnose ein bisschen zu spät. Die Schleimhaut ist befallen, in der Leber haben sich Metastasen gebildet.«
    Man präsentierte ihm ein Tablett mit allen möglichen chirurgischen Instrumenten. Er griff nach einem Skalpell und gab das Zeichen für den Beginn. »Gehen wir’s also an.«
    Nathan verfolgte alle Phasen der Operation auf einem kleinen Monitor, der senkrecht über dem Kopf des Patienten angebracht war.
    Schnitt ins Ligamentum triangulare … Freilegen der Zwerchfellöffnung …
    Nach einigen Handgriffen sah er nur noch eine Anhäufung blutiger Organe auf dem Monitor. Wie fanden sich die Chirurgen da noch zurecht? Er war überhaupt nicht hypochondrisch veranlagt, doch in diesem Augenblick musste er unwillkürlich an den Schmerz in seiner Brust denken. Ängstlich beobachtete er Goodrich, der sich ganz auf seine Aufgabe konzentrierte.
    Nein, er ist kein Wahnsinniger, sondern ein fähiger Arzt. Ein Mann, der morgens aufsteht, um Leben zu retten. Aber was will er von mir?
    Irgendwann versuchte der assistierende Chirurg die Unterhaltung auf die Baseball-Liga zu lenken, aber Garrett bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, und der Mann verstummte sofort.
    Dann wandte Nathan erneut den Blick vom Monitor ab, während die Operation fortgesetzt wurde. Anlage eines Magenzugangsschlauchs …Thoraxdrainage und Drainage im Oberbauch …
    Er empfand Demut. In diesem Augenblick schienen ihm seine Akten, seine Arbeitsbesprechungen und die Million Dollar auf seinem Bankkonto bedeutungslos.
    Während die Operation dem Ende zuging, beschleunigte sich plötzlich der Herzrhythmus des Kranken.
    »Scheiße«, rief der Assistent, »er hat Herzflimmern.«
    »Das kommt vor«, erwiderte Goodrich seelenruhig, »er verträgt den Rückfluss im Herzen schlecht.«
    Als Garrett die Schwester bat, dem Patienten eine Injektion zu verabreichen, spürte Nathan plötzlich einen gallebitteren Geschmack im Mund. Er rannte aus dem Operationssaal und eilte zur Toilette, wo er sich über der Schüssel erbrach.
    Dabei fiel ihm ein, dass er seit fast vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte.
    Goodrich kam zehn Minuten später zu ihm.
    »Wird er leben?«, erkundigte sich Nathan ängstlich und tupfte sich die Stirn ab.
    »Länger, als wenn man es nicht versucht hätte. Zumindest kann er normal essen und verdauen. Wenigstens für eine gewisse Zeit.«
    »Die Operation ist gut verlaufen«, erklärte Goodrich der Ehefrau des Patienten. »Natürlich sind immer postoperative Komplikationen möglich, aber ich bin optimistisch.«
    »Danke, Doktor«, sagte die Frau glücklich, »Sie haben ihn gerettet.«
    »Wir haben unser Bestes getan.«
    »Auch Ihnen danke«, sagte die Frau und drückte Nathans Hand.
    Sie hielt ihn für den assistierenden Chirurgen. Der Anwalt hatte das bestimmte Gefühl, er sei an der Operation beteiligt gewesen, und klärte die Frau nicht über ihren Irrtum auf.
    Die Cafeteria des Krankenhauses lag im ersten Stock und blickte auf den Parkplatz.
    Goodrich und Nathan saßen sich gegenüber. Sie hatten Kaffee bestellt. Auf dem Tisch stand ein kleiner Korb mit Gebäck.
    »Wollen Sie einen Donut? Sie sind ein bisschen fettig, aber …«
    Nathan schüttelte den Kopf.
    »Ich habe immer noch einen bitteren Geschmack im Mund, wenn Sie es genau wissen wollen.«
    Der Arzt lächelte unmerklich.
    »Sehr gut. Ich höre Ihnen zu.«
    »Nein, nein, Garrett, so geht’s nicht: Ich höre Ihnen zu. Warum haben Sie mich aufgesucht und woher wussten Sie, dass Kevin sich eine Kugel in den Kopf schießen wollte?«
    Goodrich schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, fügte viel Milch und Zucker hinzu. Er runzelte die Stirn:
    »Nathan, ich weiß nicht, ob Sie schon bereit sind.«
    »Bereit wofür?«
    »Zu hören, was ich Ihnen sagen werde.«
    »Oh! Ich bin auf alles gefasst, aber wenn Sie so gütig wären, das Tempo ein wenig zu beschleunigen …«
    Auf diesem Ohr war Goodrich taub.
    »Wollen Sie mir einen

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