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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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erledigt. Weißt du, man darf mich eben nicht ärgern.«
    Nathan hörte seinen Zellennachbarn reden, ohne seine Worte wirklich aufzunehmen. Es war ein Betrunkener, der in einem Supermarkt Streit angefangen hatte und den man mit Nathan in die einzige freie Zelle der Polizeiwache gesteckt hatte. Vor knapp einer Viertelstunde hatte sich die Gittertür hinter ihm geschlossen, aber Nathan konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, die Nacht im Gefängnis zu verbringen. Von einem Augenblick auf den nächsten hatte er seinen Status als angesehener Anwalt eingebüßt und war zu diesem Abschaum geworden, der geflohen war, nachdem er ein Kind angefahren hatte. Er musste ständig an den Jungen denken, den Jeffrey verletzt hatte, an diesen zarten, leblosen Körper, verloren in diesem fluoreszierenden Regenmantel. Er hatte sich bei den Polizisten nach ihm erkundigt, aber niemand erteilte ihm Auskunft. Man redet nicht mit einem Verkehrsrowdy.
    Er hatte lediglich erfahren, dass der Junge Ben Greenfield hieß.
    Kevin, Candice, dieser kleine Ben  …
    Tatsächlich verfolgte ihn der Tod auf Schritt und Tritt. Er lauerte an jeder Straßenecke auf ihn, um ihn mit unschuldigen Opfern zu konfrontieren, während er selbst darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Garrett hatte Recht: Der Tod war überall. Diese schreckliche Realität, der er immer ausgewichen war, traf ihn jetzt mit voller Brutalität und stellte seine Weltsicht auf den Kopf.
    Mein Gott, wie kalt es hier ist. Und dieser Kerl da, der nicht aufhört zu grölen  …
    Er verschränkte die Arme und rieb sich die Schultern. Er war erschöpft, todmüde und niedergeschlagen, doch zugleich davon überzeugt, dass er keinen Schlaf finden würde.
    Kevin, Candice, Ben  …
    Der Anblick ihrer verwundeten oder leblosen Körper hatte in ihm das Gefühl der Panik und der Ohnmacht geweckt. Er ließ sich auf die schmale Holzpritsche fallen und stützte den Kopf in die Hände. Vor seinem inneren Auge spulte der Film der letzten beiden Stunden ab.
    Als der Officer ihn aufgefordert hatte, die Scheibe herunterzulassen, war die Zeit stehen geblieben, und seine Gedanken hatten sich überschlagen. Blitzschnell war ihm bewusst geworden, dass er, der Sohn der ehemaligen Haushaltshilfe, das Schicksal der noblen Familie Wexler in Händen hielt. Er, der Karrierist, der Emporkömmling, der nie von der Familie anerkannt worden war, konnte sie jetzt alle retten. Und genau das würde er tun. Denn von der Ehre der Wexlers hing die Zukunft der beiden Menschen ab, die in seinem Leben die wichtigste Rolle spielten. Nur noch Mallory und Bonnie zählten, nur noch ihre Liebe zählte .
    Ich darf Mallory nicht verlieren, hatte er gedacht. Wenn ich sie verliere, verliere ich alles.
    Man hatte ihn aufgefordert, ohne ruckartige Bewegungen auszusteigen. Dann hatte man ihn von Kopf bis Fuß durchsucht und ihm Handschellen angelegt. Er wusste genau, dass Bonnie diesen Anblick nie mehr vergessen würde: Sie hatte gesehen, wie Polizisten ihren Vater in Handschellen in einen Streifenwagen schoben, um ihn ins Gefängnis zu bringen. Ins Gefängnis. Wie wird ihr dabei zumute gewesen sein? Was wusste sie überhaupt vom Beruf ihres Vaters? Nicht sehr viel. Er hatte ihr erklärt, dass er ein »Firmenanwalt« sei, aber er wusste genau, dass sie sich darunter nichts vorstellen konnte. Im Gegensatz dazu wusste Bonnie sehr genau, was die Polizei tat. Die Rolle der Polizei bestand darin, Verbrecher festzunehmen. Und die Polizei hatte soeben ihren Vater festgenommen.
    Die Polizisten hatten auch die Whiskyflasche konfisziert, die sein Schwiegervater fast geleert hatte. In Massachusetts war es verboten, eine angebrochene Flasche Alkohol im Auto mitzuführen. Ein weiteres Delikt also, für das Nathan die Verantwortung übernehmen würde. Und doch war er um ein Haar der Katastrophe entgangen, denn für den Polizisten, der ihn angehalten hatte, bedeutete das Vorhandensein der Flasche im Auto selbstverständlich Trunkenheit am Steuer. Nathan hatte vehement protestiert, hatte sich freiwillig einem Test unterzogen: Er folgte mit dem Blick dem Finger des Polizisten, berührte mit dem Daumen schnell alle Finger einer Hand, zählte nach rechts, dann nach links . Das überzeugte den Polizisten nicht, und der Anwalt hatte darauf bestanden, einen Alkoholtest machen zu lassen. Er hatte natürlich kein bisschen Alkohol im Blut. Die Polizisten waren vom Ergebnis dermaßen enttäuscht, dass sie den Test drei Mal wiederholten, jedes Mal mit dem

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