Ein Erzfeind zum Verlieben
Erregung ein wenig auf und ab. »Miss Willory sieht aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben.«
»Nein«, pflichtete er ihr bei. »Aber es könnte bitter werden.«
Dies entlockte ihr ein Lachen, und sie entspannte sich. »Kann Wasser bitter werden?«
»Ich habe keine Ahnung«, gestand er. »Wollen wir das überprüfen? Du holst Wasser, ich halte Miss Willory fest.«
»Oh Himmel«, lachte sie. »Kannst du dir das vorstellen? Ob man uns wohl als Helden oder als Schurken feiern würde?«
»Als Wahnsinnige vermutlich.«
»Das könnte die Sache wert sein, nur um …«
Sie unterbrach sich, als sie spürte, wie ihr Absatz im Schlamm erst einsank und dann abglitt. Wäre sie nicht so abgelenkt gewesen, hätte sie vielleicht bemerkt, wie nahe sie dem Abgrund gekommen war. Dann hätte sie ihren Sturz gewiss besser abgefangen und darauf achtgegeben, wohin sie ihren Fuß setzte.
Denn sie trat ins Leere.
8
Auf einen Zuschauer wirkt ein Sturz von einem Hügel vermutlich sehr unvermittelt – eben steht jemand noch da und gleich darauf nicht mehr.
Doch für das bedauernswerte Individuum, das da gerade fällt, ist es ein Ereignis, das sich unendlich lange hinzieht – zumindest anfangs.
Mirabelle erinnerte sich während ihres Sturzes an die Schachtel, die sie am Vortag langsam zu Boden hatte fallen sehen, und sie hatte noch so viel Zeit, um zu überlegen, dass sie wirklich – wirklich und wahrhaftig – in der Lage sein sollte, nach einem Zweig oder einem Strauch zu greifen, bevor es zu spät war. Doch noch während sie die Finger ausstreckte, raste der lange Hügel an ihr vorbei.
Danach ging alles tatsächlich recht schnell.
Sie fiel, rollte weiter, sie stieß irgendwo an und glitt hinab. Himmel und Erde rasten in schwindelerregendem Wirbel an ihr vorbei. Gut fünfzig Meter unterhalb des höchsten Punktes blieb sie schlitternd liegen, noch immer ein ganzes Stück vom Ufer entfernt. Eine schreckliche Sekunde lang spürte sie Arme und Beine nicht und fürchtete schon, sie während des Sturzes irgendwo verloren zu haben.
Dann kam der Schmerz – größtenteils ein Stechen und Brennen, eher unangenehm, als dass es wirklich wehtat. Ihr Knöchel hingegen brannte, und sie fuhr hoch, um sich das Bein zu halten.
»Oooh, au! Au … au … au …!« Nach jedem Schmerzensschrei fügte Mirabelle im Geist die Liste von Schimpfwörtern hinzu, für die sie sich erst tags zuvor entschuldigt hatte.
Seinerseits fluchend kam Whit durch die Dornen hinuntergestürzt und ging neben ihr in die Hocke.
»Sieh mich an, Kobold. Sieh mich an. Weißt du, wo du bist?«
Voller Qual und verärgert über die unglaublich dumme Frage – war der Mann in den letzten fünf Minuten erblindet? –, schüttelte sie den Kopf und konzentrierte sich darauf, durch die zusammengebissenen Zähne einzuatmen.
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und brachte sie dazu, von ihrem pochenden Knöchel aufzuschauen und ihm in die besorgten Augen zu sehen. »Sag mir, wo du bist.«
Sie sah ihn wütend an. »Am Fuß des Hügels.«
»Gut.« Er zog eine Hand weg und hielt sie ihr vor das Gesicht. »Wie viele Finger halte ich hoch?«
Allmählich begriff sie und zwang sich, die leicht verschwommenen Finger zu zählen. »Zwei.«
Er warf einen kurzen Blick auf ihre Stirn, bevor er seine Aufmerksamkeit ihrem Bein zuwandte.
»Beweg deine Hände. Ich will sehen, was du dir getan hast.«
»Nein! Nicht anfassen!« Sie schlug nach ihm. Die Reaktion war instinktiv, von Schmerz und Furcht verursacht, und Whit begegnete ihr lediglich, indem er ihr beruhigend über den Arm strich.
»Vermutlich bloß eine Verstauchung. Der schlimmste Schmerz wird gleich vorüber sein. Aber nur um ganz sicherzugehen, sei ein tapferes kleines Mädchen und lass mich nachsehen.«
Mirabelle hörte auf, sich hin- und herzuwiegen – ihr war nicht einmal bewusst gewesen, dass sie es getan hatte – und blickte ihn aus verengten Augen an. »›Kleines Mädchen?‹«
»Ruhig. Du fühlst dich schon besser, nicht wahr?«
Das tat sie allerdings, und weil der einzige Grund für seine Beleidigung anscheinend darin bestand, dass er sie von ihrem Schmerz ablenken wollte, konnte sie ihm deswegen kaum böse sein. Außerdem wirkte er ein wenig blass, und auf seiner Stirn stand eine Sorgenfalte.
Gott, gewiss log er, was die Verstauchung betraf? War es möglich, dass sie sich ernsthaft verletzt hatte?
Sie schluckte und ließ ihren Knöchel los. »Du darfst ihn nicht bewegen, sonst … beweg ihn einfach
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