Ein Fall für Kay Scarpetta
er war bei weitem der bestaussehende - einer dieser seltenen blonden Männer, mit denen die Jahre gnädig umgingen. Er verlor weder sein Haar noch seine Figur, und die feinen Linien an seinen Augenwinkeln waren das einzige Zeichen dafür, daß er auf die Vierzig zuging.
Als sie gegangen war, sagte Boltz in den Raum: "Wir wissen alle, daß die Cops immer wieder mal ein Problem mit der Mitteilsamkeit haben. Norm und ich hatten ein Gespräch mit den Herrschaften. Niemand scheint genau zu wissen, wo die undichte Stelle sein könnte."
Ich hielt mich zurück. Was erwarteten sie? Einer der Majors hat ein Verhältnis mit Abby Turnbull oder sonst irgend jemandem, und dieser Kerl wird jetzt zugeben: "Ja, tut mir leid. Hab' ich was verraten?"
Amburgey schlug eine Seite in seinem Notizblock um. "Bis jetzt wurde ein Informant, der als >medizinische Quelle< bezeichnet wird, siebzehnmal seit dem ersten Mord in den Zeitungen zitiert, Dr. Scarpetta. Das gibt mir ein ungutes Gefühl. Natürlich wurden die sensationellsten Details wie die Art der Fesseln, der Nachweis von sexueller Mißhandlung, wie der Mörder hereinkam, wo die Leichen gefunden wurden und die Tatsache, daß DNS-Untersuchungen gemacht werden, dieser Quelle zugeschrieben." Er sah mich an. "Gehe ich recht in der Annahme, daß die Details korrekt; sind?"
"Nicht ganz. Es gab ein paar kleine Ungereimtheiten."
"Die wären?"
Ich wollte nicht mit ihm über diese Fälle reden. Aber er hatte jedes Recht, sogar auf die Möbel in meinem Büro, wenn er sie wollte. Ich erstattete ihm Bericht. Er erstattete niemandem Bericht, außer dem Gouverneur.
"Zum Beispiel", antwortete ich, "im ersten Fall berichtete die Zeitung, daß ein brauner Stoffgürtel um Brendas Hals gebunden gewesen wäre. Tatsächlich war es aber ein e Strumpfhose."
Amburgey notierte sich das. "Was noch?"
"In Cecile Tylers Fall wurde berichtet, daß ihr Gesicht blutete und daß die Bettdecke voller Blut gewesen wäre. Eine maßlose Übertreibung. Sie hatte keine Schnittwunden, keine Verletzungen dieser Art. Etwas Blut war aus ihrer Nase und ihrem Mund gelaufen. Ein Post-mortem-Artefakt."
"Diese Details", fragte Amburgey, während er fortfuhr zu schreiben, "wurden sie in den CME-1-Berichten erwähnt?"
Mir wurde langsam klar, was in seinem Kopf vorging. Die CME-1-Berichte waren die ersten Untersuchungsberichte des Gerichtsarztes. Der zuständige ME (Medical Examiner) schrieb auf, was er am Tatort sah und was er von der Polizei erfahren hat. Die Details waren nicht immer vollkommen korrekt, weil der diensthabende ME vom allgemeinen Durcheinander umgeben war und die Autopsie noch nicht stattgefunden hatte. Hinzu kam noch, daß die MES keine forensischen Pathologen waren. Sie waren Ärzte, die privat praktizierten, mehr oder weniger Freiwillige, die fünfzig Dollar pro Fall bekamen, um mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen zu werden oder sich ihr Wochenende durch Autounfälle, Selbstmorde und Morde zerstören zu lassen. Diese Männer und Frauen verrichteten einen öffentlichen Dienst; sie waren die Vorarbeiter. Ihre hauptsächliche Arbeit bestand darin, zu bestimmen, ob der Fall zur Autopsie mußte, alles aufzuschreiben und eine Menge Fotos zu machen. Selbst wenn einer der MES eine Strumpfhose mit einem braunen Gürtel verwechselt hatte, war es unwichtig. Meine MES redeten nicht mit der Presse.
Amburgey ließ nicht locker: "Die Sache mit dem braunen Stoffgürtel, die blutige Bettdecke. Ich frage mich, ob diese Details in den CME-1-Berichten erwähnt wurden."
"In der Art, wie die Zeitung die Details brachte", antwortete ich fest, "nein."
Tanner bemerkte scherzend: "Wir wissen alle, was die Presse macht. Nimmt eine Maus und macht sie zum Elefanten."
"Hören Sie", sagte ich und sah die drei Männer an. "Wenn Sie darauf hinauswollen, daß einer meiner Medical Examiners Details über diese Fälle ausplaudert, dann kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen, daß Sie auf der falschen Fährte sind. Es kommt nicht vor. Ich kenne beide MEs, die bei den ersten zwei Fällen gerufen worden waren. Sie sind seit Jahren MEs in Richmond und waren immer über jeden Zweifel erhaben. Zum dritten und vierten Fall bin ich selbst gegangen. Die Information kommt nicht aus meinem Büro. Die Details, alle, können von jedem, der dort war, weitergeleitet worden sein. Angehörige der Rettungsmannschaften, die zum Tatort kamen, zum Beispiel."
Leder knarrte leise, als Amburgey sich in seinem Stuhl zurechtsetzte. "Daran habe ich auch schon
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