Ein Fall für Kay Scarpetta
übermittelt. In neun von zehn Fällen ist es falscher Alarm, Kinder, die mit dem Telefon spielten. Aber wir können uns dessen nie sicher sein. Wir können nicht sicher sein, daß da nicht ein Mensch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hat, daß jemand in Lebensgefahr ist. Deshalb muß der Vermittler dem Anruf höchste Priorität geben. Dann sendet der Funkbeamte es ohne Zeitverzögerung an die Streifenwagen in den Straßen und weist einen Beamten an, an dem Haus vorbeizufahren und zumindest nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Das ist nicht geschehen. Ein bestimmter Beamter aus der Notrufzentrale, der bereits vom Dienst suspendiert ist, hat dem Anruf nur eine ViererPriorität gegeben."
Tanner warf ein: "In jener Nacht war ziemlich viel los auf den Straßen. Ziemlich viel Funkverkehr. Je mehr Anrufe es gibt, desto einfacher ist es, etwas unter der Wichtigkeit einzustufen, die man ihm normalerweise zuweisen würde. Das Problem ist, wenn du einer Sache einmal eine Zahl zugeteilt hast, dann gibt es kein Zurück. Der Funkbeamte schaut auf die Zahlen auf seinem Bildschirm. Er kennt den Inhalt der Anrufe nicht, bis er sich ihrer annimmt. Er wird sich keines Vierer-Anrufes annehmen, wenn er noch eine ganze Liste von Einsern und Zweiern und Dreiern hat, die den Männern in den Straßen übermittelt werden müssen."
"Es besteht kein Zweifel, daß der Vermittler die Sache verbockt hat", sagte Amburgey milde. "Aber ich glaube, man kann sich vorstellen, wie so etwas passieren kann."
Ich saß so steif da, daß ich kaum atmete.
Boltz faßte in demselben dumpfen Ton zusammen: "Es war etwa fünfundvierzig Minuten später, als ein Streifenwagen schließlich an Petersens Haus vorbeifuhr. Der Beamte sagt, er habe mit seiner Taschenlampe die Front des Hauses abgeleuchtet. Die Lichter waren aus, alles sah nach seinen Worten sicher aus. Er bekommt eine Meldung von einer Prügelei, die im Gange ist, fährt weg. Anscheinend war es nicht viel später, als Mr. Petersen nach Hause kam und die Leiche seiner Frau fand."
Die Männer redeten und erklärten weiter. Vergleiche wurden gezogen zu Howard Beach, zu einem Mord in Brooklyn, bei dem die Polizei einen Anruf vernachlässigt hatte und Leute starben.
"Gerichtshöfe in D. C., in New York, haben geurteilt, daß eine Regierung nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn sie es nicht schafft, die Menschen vor Verbrechen zu schützen."
"Egal, was die Polizei tut oder nicht tut."
"Egal. Wir gewinnen den Prozeß, wenn es einen gibt, aber wir verlieren trotzdem, wegen der Publicity."
Ich hörte kaum ein Wort von dem, was sie sagten. Schreckliche Bilder spielten sich in meinem Kopf ab. Der 911-Anruf, die Tatsache, daß er unterbrochen wurde, ließ es mich sehen.
Ich wußte, was geschehen war.
Lori Petersen war erschöpft nach der Schicht in der Notaufnahme, und ihr Ehemann hatte ihr gesagt, daß er später als sonst nach Hause kommen würde. Also ging sie ins Bett, wollte vielleicht nur ein wenig schlafen, bis er heimkam - wie ich es zu tun pflegte, als ich meine Assistenzzeit absolvierte und wartete, bis Tony aus der Jurabibliothek in Georgetown heimkam. Sie wachte auf, weil sie ein Geräusch im Haus hörte, vielleicht den ruhigen Klang der Schritte dieses Menschen, der den Korridor herunter zu ihrem Schlafzimmer kommt. Irritiert ruft s ie den Namen ihres Ehemanns.
Niemand antwortet.
In diesem Moment der dunklen Stille, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen sein muß, begreift sie, daß jemand im Haus ist und daß es nicht Matt ist.
Panisch macht sie die Nachttischlampe an, damit sie die Wählscheibe des Telefons sehen kann.
Bis sie die 911 gewählt hat, ist der Mörder bei ihr angekommen. Er reißt das Telefon aus der Wand, bevor sie die Möglichkeit hat, um Hilfe zu schreien.
Vielleicht riß er ihr den Hörer aus der Hand. Vielleicht schrie er sie an, oder sie begann ihn anzuflehen. Er wurde unterbrochen, einen Moment lang überrascht.
Er war wütend. Vielleicht schlug er sie. Dabei hat er möglicherweise ihre Rippen gebrochen, und als sie benommen vor Schmerzen dasitzt, sieht er sich im Raum um. Die Lampe war an. Er konnte alles im Schlafzimmer erkennen. Er konnte das Überlebensmesser auf ihrem Tisch sehen. Ihr Tod hätte verhindert werden können! Hätte man dem Anruf die Notstufe Eins gegeben, wäre er sofort über den Funk gesendet worden, und ein Beamter hätte innerhalb von Minuten reagiert. Er hätte bemerkt, daß das Schlafzimmerlicht brannte - der Mörder
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