Ein Fall für Kay Scarpetta
hatten?
Amburgey schenkte mir ein Kopfnicken, das mehr wie eine Entlassung wirkte, und fügte mit dem Enthusiasmus eines gelangweilten Verkehrsrichters hinzu: "Freut mich, daß Sie kommen konnten."
Er war ein kleiner Mann mit ausweichendem Blick, der zuletzt in Sacramento gearbeitet hatte, wo er genug West-Coast-Manieren gelernt hatte, daß er seine Herkunft aus North Carolina überspielen konnte; er war der Sohn eines Farmers und nicht besonders stolz darauf. Er hatte eine Vorliebe für schmale Krawatten mit silbernen Klammern, die er mit einem Nadelstreifenanzug trug, und an seinem rechten Ringfinger trug er einen silbernen Ring mit einem Türkis. Seine Augen waren verwaschen grau, wie Eis, die Knochen seines Schädels zeichneten scharf unter seiner dünnen Haut ab. Er war fast kahl.
Ein elfenbeinfarbener Sessel war von der Wand in den Raum geschoben worden und schien für mich dazustehen. Das Leder knirschte, und Amburgey setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, von dem ich oft gehört, den ich aber noch nie gesehen hatte. Er war riesig, ein Meisterstück mit Schmuckschnitzereien aus Rosenholz, sehr alt und sehr chinesisch. Hinter seinem Kopf befand sich ein breites Fenster, das ihm das Panorama der City bot, der James River als gleißendes Band in der Ferne und die Southside als Fleckenmeer. Mit einem lauten Schnappen öffnete er eine schwarze Briefmappe aus Straußenleder, die vor ihm lag, und holte einen gelben Notizblock hervor, der mit seinem engen, geschnörkelten Gekritzel beschrieben war. Er hatte unterstrichen, was er sagen wollte. Er machte nie irgend etwas ohne seine Spickzettel.
"Ich bin sicher, daß Sie sich der öffentlichen Sorge wegen dieser jüngsten Morde bewußt sind", sagte er zu mir.
"Ich bin mir dessen sehr bewußt."
"Bill, Norm und ich hatten ein notfallmäßiges Gipfeltreffen, um darüber zu reden, gestern nachmittag. Es ging um mehrere Dinge, vor allem auch um das, was in der Samstagabend- und in der Sonntagszeitung stand, Dr. Scarpetta. Wie Sie vielleicht wissen, laufen seit diesem vierten, tragischen Tod, dem Mord an der jungen Chirurgin, die Fernschreiber heiß."
Ich wußte es nicht. Aber ich war nicht überrascht.
"Es ist klar, daß man Ihnen viele Fragen gestellt hat", fuhr Amburgey nüchtern fort. "Wir müssen das Ganze im Keim ersticken, oder wir verlieren völlig die Kontrolle darüber. Das ist eines der Dinge, über die wir geredet haben."
"Wenn Sie die Morde im Keim ersticken können", sagte ich genauso kühl, "gewinnen Sie den Nobelpreis."
"Natürlich ist das unser Hauptanliegen", meinte Boltz, der seine dunkle Anzugjacke aufgeknöpft hatte und sich in seinem Stuhl zurücklehnte. "Unsere Polizeibeamten arbeiten Tag und Nacht daran, Kay. Aber wir sind uns alle einig, daß es eine Sache gibt, die wir endgültig unter Kontrolle bringen müssen - dieses Durchsickern von Informationen an die Presse. Die Zeitungsberichte erschrecken die Öffentlichkeit zu Tode und lassen den Mörder alles wissen, was wir vorhaben."
"Ich bin vollkommen dieser Meinung." Mein Verteidigungsinstinkt rollte hoch wie eine Zugbrücke, und ich bereute sofort, was ich als nächstes sagte: "Sie können sicher sein, daß mein Büro keine Stellungnahme abgegeben hat, außer der obligatorischen Bekanntgabe von Todesart und -ursache." Ich hatte auf eine Anklage reagiert, die noch gar nicht geäußert worden war, und meine professionellen Instinkte empörten sich über meine Dummheit. Wenn ich hier war, um der Indiskretion angeklagt zu werden, dann hätte ich sie dazu bringen müssen - zumindest Amburgey dazu bringen müssen -, so etwas Haarsträubendes auszusprechen. Statt dessen erweckte ich den Eindruck, daß ich auf der Flucht war und gab ihnen die Rechtfertigung, mich zu verfolgen.
"Nun gut", kommentierte Amburgey, seine blassen, unfreundlichen Augen ruhten kurz auf mir, "Sie haben da gerade etwas offengelegt, das wir einmal näher beleuchten sollten."
"Ich habe gar nichts, offengelegt", erwiderte ich nicht sehr überzeugend. "Ich habe nur eine Tatsache festgestellt, für das Protokoll."
Nach einem leichten Klopfen kam die rothaarige Empfangsdame mit Kaffee herein, und das Zimmer verwandelte sich abrupt in ein Stilleben. Die schwere Lautlosigkeit schien über ihr zu hängen, als sie herumging, um auch ganz sicher zu sein, daß wir alles hatten, ihre Aufmerksamkeit schwebte wie ein Schleier über Boltz. Er war vielleicht nicht der beste Oberste Staatsanwalt, den die Stadt je gehabt hatte, aber
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