Ein Fall für Nummer 28
nickten. Sie beobachteten, wie der Mann nacheinander einen Stuhl, einen Klapptisch, ein Lattenrost, eine
Matratze und mehrere Kartons und prall gefüllte Mülltüten aus dem Wagen auf die Straße lud.
»Der zieht doch wohl nicht in die Wohnung über euch?!«, sagte Gogo.
Nadeshda schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Wenn, dann zieht er bestimmt in die kleine Wohnung im Parterre.«
»Ich finde, in die Wohnung über euch sollte ein außergewöhnlich nettes Kind in unserem Alter einziehen. Das könnte dann in
unserem Detektivclub mitmachen. Denn drei Detektive müssten wir schon sein. Und Poli zählt ja nicht.«
Nadeshda nickte. Gogos kleine Schwester Poli-Kala konnte man beim besten Willen nicht als vollwertiges Detektivclubmitglied
zählen. Poli würde allerdings leider trotzdem immer mit dabei sein, weil Gogo meistens nachmittags auf seine kleine Schwester
aufpassen musste.
Der Mann ächzte mit Klapptisch und großen Mülltüten beladen an ihnen vorbei die Stufen hoch. Nadeshda sprang auf und hielt
ihm die Tür auf. Sie sah, dass er tatsächlich in der Wohnung im Parterre verschwand.
Das war der lange Radomski, der an dem Tag einzog, als Nadeshdas netter Nachbar Otto Honig verschwand.
Wo ist Otto?
Dass Otto tatsächlich verschwunden war, wurde Nadeshda erst am Abend so richtig klar, als sie mit ihrer Mutter beim Abendessen
saß. Stirnrunzelnd schaute sie erst auf den freien Stuhl am Küchentisch, dann sah sie fragend ihre Mutter an: »Wo ist denn
Otto?«
In letzter Zeit hatten sie sich angewöhnt, gemeinsam mit Otto Abendbrot zu essen. »Zusammen ist es doch viel gemütlicher«,
fand Otto. Und das fanden Nadeshda und ihre Mutter auch. Nadeshda hätte Otto sowieso glatt auf der Stelle als Vater adoptiert.
Sie musste nur noch ihre Mutter davon überzeugen. Nadeshda fand, dass es in letzter Zeit, was das betraf, ziemlich gut ausgesehen
hatte. Denn seitdem Otto vor fünf Wochen in die Wohnung gegenüber eingezogen war und sich gleich am ersten Abend von ihnen
Mehl für seine Pfannkuchen ausgeliehen hatte, hatten sie ihn fast täglich gesehen. Und seitdem hatte ihre Mutterendlich wieder viel fröhlicher ausgesehen und viel öfter gelacht. Sogar laut gesungen hatte sie letzte Woche und war ausgelassen
mit Nadeshda durch die Wohnung getanzt.
Doch im Moment sah Nadeshdas Mutter gar nicht glücklich aus, sondern eher so, als hätte sie starke Zahnschmerzen. Als Antwort
auf Nadeshdas Frage zuckte sie nur mit den Achseln und hielt ihr einen Zettel hin. »Der lag vorhin im Briefkasten.«
Nadeshda las:
Ihr Süßen,
ich bin eine Zeit lang weg. Macht Euch keine Sorgen.
Immer Euer Otto
War das alles?
»Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Wahrscheinlich hat er irgendwo eine Freundin und übernachtet bei ihr«, vermutete die
Mutter. »Aber bis zu deinem Geburtstag ist er sicherlich wieder da«, fügte sie schnell hinzu. Sie sprang auf und stellte viel
zu laut klappernd das Geschirr zusammen.
Auch Nadeshda war der Appetit vergangen. Sie war empört: Otto konnte doch nicht einfach so verschwinden! Sollte er tatsächlich
eine Freundin haben? Nadeshda hatte immer wieder versucht herauszufinden, was Otto von ihrer Mama hielt. Aber auf Nadeshdas
vorsichtige Fragen war Otto nie richtig eingegangen.Nadeshda hatte geglaubt, er wäre nur zu schüchtern.
Aber jetzt dachte sie, dass es vielleicht einfach daran lag, dass er ihre Mama doch nicht so besonders toll fand. Dann konnte
es natürlich sein, dass Otto Honig sich plötzlich Knall auf Fall in so eine superschlanke Zwanzig jährige verliebt hatte.
Und deshalb war jetzt Schluss mit den gemeinsamen Abendessen. Und mit der Adoption von Otto als Vater auch. Für immer und
ewig.
Nadeshda schniefte lautlos in sich hinein. Dann begann sie sich zu ärgern. Wenn Otto tatsächlich irgendwo bei einer Freundin
war, warum sagte er ihnen das nicht einfach? Was sollte dieses blöde geheimnistuerische »Ich bin mal eine Zeit lang weg«?!
Nadeshda beschloss zu überprüfen, was es damit auf sich hatte. Sie würde ganz einfach am nächsten Tag zu Ottos Arbeitsstelle
gehen und ihn zur Rede stellen. Ihrer Mutter sagte sie lieber nichts von ihrem Plan.
Gleich am nächsten Tag nach der Schule ging Nadeshda die Elbchaussee hoch bis zur Villa der Grünbergs. Hier arbeitete Otto
seit einem Monat als Gärtner. Das große Tor war verschlossen. Das Grundstück der Grünbergs lag seltsam verlassen da. Nirgendwo
im Garten standen
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