Ein Fall für Perry Clifton
in den Gliedern sitzt —
schließlich waren sie ja um Haaresbreite am Gefängnis vorbeigekommen, denkt er — , hat Perry Mühe, seine Niedergeschlagenheit zu verbergen.
Sie
waren vorhin noch am St.-James-Krankenhaus vorbeigefahren, wo man ihnen
bestätigte, daß Miß Porelli nach dreiwöchiger Behandlung vorgestern entlassen
worden sei.
Trotz
dieser Eindeutigkeit bohrt etwas in Perry Clifton. Er weiß es nicht zu deuten,
obwohl er pausenlos versucht, dahinterzukommen.
„Ich
kann mir nicht helfen. Irgendwo ist da ein Haken...“ murmelt er leise vor sich
hin. Dicki hat es gehört.
„Aber
wenn Madame Porelli doch im Krankenhaus war...“ Dicki scheint mit seinem Freund
gar nicht mehr einverstanden zu sein. Aber da ist noch eine Frage, die ihn
bewegt: „Warum nennt sie sich eigentlich Madame Porelli, wenn sie doch eine Miß
ist?“
„Das
gehört zu ihrem Artistennamen, vermutlich“, erwidert Perry abwesend und fügt
hinzu: „Solche Leute schmücken sich gern mit ausländischen Beinamen. Madame
klingt schließlich besser als Madam. Aber glauben wir mal, daß Madame Porellis
Dackel wirklich gestohlen wurde“, spinnt Perry den Faden weiter, „dann muß es
jemand gewesen sein, der den Hund genau kannte und der auch dem Tier vertraut
war. Also eine Person aus der unmittelbaren Umgebung der Porelli.“
„Einer
vom Zirkus?“
„Oder
eine vom Zirkus?“ verbessert Perry.
„Es
tut mir leid, daß wir Madame Porelli unrecht getan haben.“
„Viele
Menschen irren sich, Dicki. Und oft stellt sich hinterher sogar noch der Irrtum
als Irrtum heraus!“ antwortet Perry zweideutig.
Doch
Dicki hat den Sinn dieser Worte nicht ganz begriffen.
„Was
wollen Sie denn nun machen?“
„Ich
werde das Geheimnis dieser seltsamen Schmuckdiebstähle auf decken, koste es,
was es wolle...“
Den
ganzen Montagvormittag treibt sich Perry Clifton in und bei dem Zirkus
Paddlestone herum. Er fragt diesen, fragt jenen. Doch es ist alles umsonst.
Niemand kann ihm etwas von Bedeutung sagen, und so kehrt er kurz vor zwei Uhr
wieder in seine Wohnung in Norwood zurück. Perry Clifton hat keine Ahnung, daß
zu diesem Zeitpunkt irgendwo in London Vorbereitungen für einen neuen dreisten
Diebstahl getroffen werden.
Es
ist inzwischen fast sechzehn Uhr geworden. Trotz der an sich noch frühen Stunde
brennen schon die Straßenbeleuchtungen in der City, und das unübersehbare Meer
der tausendfachen Leuchtreklamen blitzt und schillert in allen Farben.
Vom
Turm des Parlamentsgebäudes schlägt Big Ben gerade die vierte
Nachmittagsstunde, als eine Taxe von der Holler-Street kommend in die schmale
Wourcester-Street einbiegt.
Nach
knappen hundert Metern stoppt der Wagen.
Eine
halbe Minute vergeht, dann öffnet sich der Fond, und ein kleiner schwarzer
Schatten huscht heraus... es folgt ein schlanker Herr, der jetzt dem
Taxichauffeur kurz zunickt. Der Motor heult auf, und mit quietschenden Reifen
biegt das Auto um die nächste Straßenecke.
Gemächlich
schlendert der Herr über die Straße. Er trägt einen dunklen, nach Maß
geschneiderten Anzug. Über dem angewinkelten Arm hängt in vornehmer Manier ein
Schirm, und der Kopf wird von einer glänzend schwarzen Melone bedeckt.
Das
Auffälligste jedoch an der Erscheinung des eleganten Gentlemans ist das dichte,
schneeweiße Haar, das rechts und links unter dem Hut hervorlugt. Gleichermaßen
als Bestätigung des Alters ist der dichte, ebenfalls schneeweiße Vollbart zu
werten.
Der
Weißhaarige hat jetzt die Nummer 17 der Wourcester-Street erreicht. Er steht
vor dem Schaufenster eines kleinen Ladens.
Kritisch
mustert er die Auslagen in dem sehr kleinen Schaufenster, auf dessen
ungeputzter Scheibe in gelber Farbe geschrieben steht, daß sich der Inhaber mit
dem An- und Verkauf von Gold und Edelsteinen befaßt.
Der
vornehme alte Herr legt die Hand auf die Klinke...
Jan
Krenatzki, der aus Krakau eingewanderte polnische Händler, hat minutenlang das
Kommen des alten Gentlemans beobachtet.
Als
Krenatzki sicher war, daß der Gentleman zu ihm wollte, rieb er sich in
Erwartung eines guten Geschäftes die Hände und eilte in den finsteren hinteren
Teil seines Ladens.
Es
ist immer gut, wenn man einen vielbeschäftigten Eindruck macht. So etwas erhöht
das Renommee und — die Preise...
Ein
zufällig in den Laden geratener Kunde würde wohl kaum vermuten, daß bei Jan
Krenatzki auch kostbare Dinge zu kaufen oder zu verkaufen sind.
Der
Duft von Mottenpulver und Knoblauch vermischt sich mit
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