Ein Fall für Perry Clifton
„Verzeihen Sie,
Mister Clifton, wenn ich mich gehenließ... Aber wenn ich mir vorstelle, was
diese Person mit meinem armen Hund anstellt, könnte ich vor Wut und
Verzweiflung aus der Haut fahren...“
Schwer
läßt sie sich auf einen Stuhl fallen.
Perry
Clifton versucht, ihr etwas Tröstliches zu sagen.
„Es
ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich in den Maschen des aufgespannten
Netzes verfängt...“
Sie
schüttelt nur stumm den Kopf.
Perry
beginnt auf den Grund seines Besuchs zu kommen:
„Hören
Sie, Madam, ich habe die Dinge von allen Seiten beleuchtet: Es gibt keine
andere Möglichkeit als die, daß die Diebin in Ihrem Bekanntenkreis oder in
Ihrem früheren Kollegenkreis beim Zirkus zu finden ist... Haben Sie mal darüber
nachgedacht?“
Sie
nickt und erwidert mit abwesender Stimme:
„Ich
wüßte niemanden, der einer solchen Gemeinheit fähig wäre... Ich lebe hier sehr
zurückgezogen. Wenn mich jemand besucht, dann ist es höchstens der
Briefträger... Seit der Sache mit Jocky bin ich regelrecht menschenscheu
geworden... und was Sie mir da von meinem gefärbten Jocky erzählen, das will
und will mir nicht in den Kopf... Hallo, Mister Clifton... was haben Sie denn?“
Perry
Clifton hat die letzten Worte Madame Porellis wohl nicht wahrgenommen. Gebannt
hängen seine Augen an einem Gegenstand in der Ecke des Wohnwagens. Langsam
erhebt er sich von seinem Stuhl und geht wie hypnotisiert auf ein kleines,
barockes Schränkchen zu, auf dem eine gerahmte Fotografie steht...
Wie
in Trance streckt er die Hand aus. Mit starren Blicken mustert Perry Clifton
die Fotografie in dem lederüberzogenen Rahmen.
Sekunden
später flüstert er schwer atmend:
„Eine
Frau in Männerkleidung... Madame Porelli, das sind Sie...“
Madame
Porelli läßt ein gequältes Lachen hören.
„Sie
urteilen schon wieder einmal sehr vorschnell, lieber Mister Clifton... und Sie
denken zu schnell. Das bin ich nicht!“
Entgeistert
gleiten Perrys Blicke zwischen der Frau auf dem Stuhl und der Fotografie hin
und her.
„Sie
sind es nicht? Ja, wer soll es sonst sein? Sagen Sie mir, wer sieht außer Ihnen
aus wie Sie?“
„Nur ein Mensch. Meine
Zwillingsschwester Claire... Ihr Bild halten Sie zwischen den Fingern.“
Perry
hat Mühe, sich von der gerahmten Fotografie loszureißen. „Sie haben mir nie von
Ihrer Zwillingsschwester erzählt.“
Madame
Porellis Stimme ist mit einem Male hart.
„Ich
habe keinen Grund, Sie über meine Familienangelegenheiten aufzuklären, und noch
weniger, von Claire zu sprechen...“
„Sie
mögen sie nicht?“
„Sie
interessiert mich nicht mehr. Wenn ihr Bild noch auf dem Schrank steht, dann
nur deshalb, weil es immer dort gestanden hat und weil es mich auch ein wenig
an meine Mutter erinnert.“
„Treffen
Sie Ihre Schwester nicht mehr?“ Perry Clifton ist von einer seltsamen Unruhe
ergriffen worden. Liegt hier der Schlüssel, nach dem er so sucht?
„Unsere
Wege haben sich schon vor vielen Jahren getrennt. Wie ich hoffe, für immer.“
Perry
merkt einen Kälteschauer. Ihre Stimme hat jegliche Wärme verloren. Nur noch Haß
ist zu hören.
„Sie
hatten Streit?“ wirft Perry leise fragend ein.
„Wie
man’s nimmt. Claire trat in einem Variete als Verkleidungskünstlerin auf.
Leider hatte sie nie den Erfolg wie ich mit meinen Hunden... Sie müssen wissen,
daß ich früher ganze Rudel von Hunden dressiert und vorgeführt habe... Ja, und
da wurde sie immer neidischer. Sie gönnte mir meine Erfolge nicht... Eines
Tages kam es dann zu einem bitterbösen Auftritt, in dessen Verlauf wir
beschlossen. Lins zu trennen...
Sie schwor mir Rache... aber das waren wohl nur große Worte...“
Madame
Porelli stützt ihren Kopf auf die Arme. Perry Clifton hat ihr aufmerksam
zugehört.
„Wissen
Sie, wo sich Ihre Schwester zur Zeit aufhält?“
„Keine
Ahnung“, erwidert die Frau leise. „Das letzte Mal hörte ich vor vier Jahren von
ihr. Angeblich sollte sie damals in einem Tingeltangel irgendwo in Australien
auftreten...“ Nach einer kleinen Atempause fährt Madame Porelli bitter fort:
„Es
genügte ihr auch nicht mehr, unseren guten Namen Porelli zu behalten. Sie
nannte sich Judith Corano.“
Perry
Clifton spricht den Namen gedehnt vor sich hin... „Judith Co-ra-no...“ Er würde
ihn nie wieder vergessen. „Hatte sie die gleiche tiefe Stimme wie Sie?“
Madame
Porelli nickt. „Ja... Wenn Sie glauben, daß Claire in London ist, ich...“ Sie
spricht nicht weiter. Innerlich aufgewühlt
Weitere Kostenlose Bücher